Nach dem Zweiten Weltkrieg lag Deutschland unter rund 400 Millionen Kubikmeter Schutt begraben, fast 4 Millionen Wohnungen waren zerstört. Auch Österreich war zerstört. Da viele Männer entweder gefallen oder in Kriegsgefangenschaft geraten waren, befreiten (angeblich) die zu Hause gebliebenen Frauen – mit bloßen Händen, aufopferungsvoll – die zerbombten Großstädte vom Kriegsschutt. Sie sind heute landläufig unter dem Begriff „Trümmerfrau“ bekannt. Stein für Stein befreiten die hart arbeitenden, selbstlosen „Trümmerfrauen“ das zerbombte Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg von Schutt und Asche: Das zumindest besagt die Legende, Doch das Bild der selbstlos zupackenden „Trümmerfrau“ hat Risse bekommen. Unter anderem die Historikerin Leonie Treber hat sich in ihrer Monographie „Mythos Trümmerfrauen“ auf Spurensuche begeben und sagt: „Das Bild, das wir haben, ist nur teilweise richtig.“
Die Essener Historikerin Leonie Treber betont in Ihrer 2014 erschienen Dissertation, „Mythos Trümmerfrauen“, dass der Mythos Trümmerfrau keinesfalls unreflektiert übernommen werden darf. Vielmehr handelt es sich dabei um eine politische Stilisierung, die in Ost und West unterschiedliche Formen und Funktionen angenommen hat: Zum einen sei die Zahl der Frauen, die tatsächlich Deutschland von Schutt befreiten, deutlich kleiner gewesen als angenommen und habe nur einen kleinen Prozentsatz der arbeitenden Frauen ausgemacht. In der britischen Besatzungszone schätzt die Historikerin den Prozentsatz der „Trümmerfrauen“ auf nicht mehr als etwa 0,3 Prozent. Zum anderen habe es sich bei vielen sogenannten „Trümmerfrauen“ um einstige NS-Funktionärinnen gehandelt, die von den Siegermächten zu dieser Arbeit, die als Strafarbeit galt, zwangsverpflichtet wurden, so Treber. Zudem hätten etwa in Berlin sogenannte „Bauhilfsarbeiterinnen“ (so die offizielle Bezeichnung) höhere Lebensmittelrationen bekommen, um sich und ihre Kinder durchzubringen, wodurch in der zerstörten deutschen Hauptstadt auch die Motivation größer als in anderen Städten gewesen sei, sich an den Wiederaufbauarbeiten zu beteiligen.
Phänomen Trümmerfrau – Regional unterschiedliche ausgeprägt
Insofern handele es sich bei den „Trümmerfrauen“ um ein regional sehr unterschiedliches Phänomen. Einen großen Teil des Kriegsschutts hätten aber spezielle Unternehmen beseitigt, die mit Maschinen und Facharbeitern vorgingen, so die Historikerin. Der Mythos der „Trümmerfrau“ sei vor allem in der DDR konstruiert worden, da dieser erstens besser ins sozialistische Frauenbild passte und man im Osten Deutschlands zweitens länger auf die Arbeit der Frauen angewiesen war. In der sowjetischen Besatzungszone habe es deswegen eine regelrechte Medienkampagne gegeben.
Im Westen hingegen habe das Wirtschaftswunder Frauen schon in den 1950er Jahren wieder in die traditionelle Rolle gedrängt, so dass „Trümmerfrauen“ bald aus dem kollektiven Gedächtnis verschwanden und erst im Rahmen der Rentendebatte in den 1980er Jahren wieder auftauchten. Das ist Trebes Fazit. Bereits 2008 hatte dabei auch die Historikerin Anna-Sophia Pappai, die die Gegebenheiten in Dresden und Warschau nach 1945 untersucht hatte, einen ähnlichen Schluss gezogen. Sie sieht in der Stilisierung der „Trümmerfrauen“ eine Projektionsfläche zur eigenen Schuldabwehr, indem man sich auf die vermeintlich „schuldlosen“ Trümmerfrauen fokussierte.
Zu einem vergleichbaren Fazit wie Treber kommt aber auch Margarethe Szeless vom Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaften der Universität Wien , die ihre Forschungsergebnisse vergangenes Jahr publiziert hat. Sie verweist auf die Tatsache, dass die sogenannten „Heldinnen des Wiederaufbaus“ auf rund 60.000 Pressefotos im Österreich der unmittelbaren Nachkriegszeit, die sie ausgewertet hat, praktisch nicht vorhanden sind. Den Grund hierfür sieht Szeless in der Tatsache, dass es sich hauptsächlich um Strafarbeiten für ehemalige NS-Funktionärinnen gehandelt habe, die auf offiziellen Dokumenten bewusst ausgeblendet wurden. Der Mythos der hart arbeitenden „Trümmerfrau“ sei erst in den 1960er-Jahren aus der DDR nach Österreich geschwappt, sei als identitätsstiftendes Moment übernommen und nicht hinterfragt worden, konstatiert Szeless.
Alle Trümmerfrauen ein Mythos? Neueste Forschungsergebnisse nicht unumstritten
Die Ergebnisse von Treber, Pappai und Szeless, die zu den neuesten Forschungsarbeiten zum Thema gehören, sind jedoch nicht unumstritten. Sven Felix Kellerhoff, Leiter des Ressorts Geschichte bei welt.de zum Beispiel weist darauf hin, dass etwa Treber bereits rein rechnerisch nicht Recht haben könne : Elf Millionen deutsche Soldaten seien in Kriegsgefangenschaft geraten, etwa 5,3 Millionen seien gefallen. Hinzu kämen außerdem die Kriegsversehrten und Invaliden. Schon allein deshalb habe die Hauptlast des Wiederaufbaus den Frauen oblegen, da zwei Drittel bis drei Viertel der männlichen Bevölkerung schlichtweg nicht zur Verfügung gestanden habe.
Auch die „Westdeutsche Allgemeine Zeitung“ sieht Treber im Widerspruch und schrieb am 22.02.2015 in ihrer Online-Ausgabe: „Viele WAZ-Leserinnnen und -Leser widersprechen der Historikerin Leonie Treber.“ In der Folge werden einige der zahlreichen Leserbriefe von Zeitzeugen zum Thema widergegeben. So erinnert sich zum Beispiel Ursula Hellwig aus Essen, Jahrgang 1952: „Ende der 50-er Jahren war mir als Kind der Begriff „Trümmerfrau“ geläufig und begegnete mir fast täglich. Meine Mutter, meine beiden Tanten sowie viele Nachbarinnen (…) unterhielten sich häufig über ihre schwere Arbeit als Trümmerfrauen, die sie zum Teil, wie auch meine Mutter, noch im siebten und achten Monat schwanger ausführen mussten. Alles Einzelfälle? Wohl kaum. Hilfe von den zitierten professionellen Firmen mit entsprechenden Geräten gab es so gut wie gar nicht. (…) Nach den massiven Zerstörungen gab es ja kaum noch gut organisierte Betriebe mit geeigneten Geräten.“
„Keine Vorstellung von den damaligen Verwüstungen“
Tatsächlich ist die Frage, wer denn die Hauptlast des Wiederaufbaus getragen hat, da doch so viele Männer gefallen, in Kriegsgefangenschaft geraten oder kriegsversehrt waren, berechtigt. Auch die Facharbeiter der professionellen Firmen, die Treber als Haupttätige bei den Aufräumarbeiten anführt, müssen als männliches Personal vorhanden gewesen sein. Doch woher soll dieses gestammt haben? WAZ-Leser und Zeitzeuge F.J. Peters bringt in seinem Leserbrief genau diese Problematik auf den Punkt: „Wer hat denn dann die Trümmer weggeräumt? (…) Die paar Männer, die frühzeitig aus der Gefangenschaft heimkamen und ohne Arbeit da standen, wurden in den Bergbau geschickt. Wer nach solchen Zerstörungen von professionellen Firmen und entsprechenden Geräten spricht, hat keine Vorstellung von den damaligen Verwüstungen oder hat an den falschen Orten recherchiert.“
Titelfoto: Zwei Trümmerfrauen in Berlin um 1947 | Bild von Janczikowsky, Lizenz CC BY-SA 3.0Artikel erstmals erschienen am
Marijana Babic hat einen Magister-Abschluss in Geschichte und Neuerer Deutscher Literaturwissenschaft und arbeitet seit vielen Jahren als freiberufliche Journalistin und Texterin.
Literatur und Auswahlbibliographie
- Anna-Sophia Pappai: „Trümmerfrauen“ und „Trümmermänner“. Symbolische und reale Wiederaufbauarbeit in Dresden und Warschau nach 1945, in: Claudia Kraft (Hg.): Geschlechterbeziehungen in Ostmitteleuropa nach dem Zweiten Weltkrieg, München 2008, S. 43 u. 55.
- Der STANDARD, Trümmerfrauen: Verklärung der „Heldinnen des Wiederaufbaus“ kam aus der DDR, online verfügbar unter https://derstandard.at/2000066592262/Truemmerfrauen-Verklaerung-derHeldinnen-des-Wiederaufbaus-kam-aus-der-DDR, aufgerufen am 02.11.2018
- Treber, Leonie: Mythos Trümmerfrauen. Von der Trümmerbeseitigung in der Kriegs- und Nachkriegszeit und der Entstehung eines deutschen Erinnerungsortes. 2014.
- Sven Felix Kellerhoff, Was die echten Trümmerfrauen geleistet haben, online verfügbar unter: https://www.welt.de/geschichte/article174070519/Was-die-echten-Truemmerfrauen-geleistet-haben.html, aufgerufen am 30.10.2018.