Ich frage euch: Wollt ihr den totalen Krieg? Wollt ihr ihn, wenn nötig, totaler und radikaler, als wir ihn uns heute überhaupt noch vorstellen können?
Joseph Goebbels
„Ich frage euch: Wollt ihr den totalen Krieg? Wollt ihr ihn, wenn nötig, totaler und radikaler, als wir ihn uns heute überhaupt noch vorstellen können?“ Es sind Sätze wie jene, die der Nachwelt meistens einfallen, wenn sie über Joseph Goebbels nachdenkt: Der Einpeitscher, der Verführer der Massen, der Meister der Propaganda. Wenn Goebbels betrachtet wird, dann geht es meistens um ihn als Propagandaminister, oft als Propagandaleiter, manchmal als Gauleiter.
Ihn als Mensch zu betrachten, fällt aber häufig hinten über. Dabei war gerade Goebbels ein Mensch mit allen Schattierungen: Kulturliebhaber, Familienmensch, Schürzenjäger, Idealist, Intellektueller, depressiver Einzelgänger. Der Beitrag soll sich Goebbels Denken und Fühlen als Mensch widmen und ordnet es in sein Handeln als Politiker ein. Dabei wird deutlich: Goebbels war nicht nur Politiker, er war ein Mensch aller Facetten.
Foto: Bundesarchiv: Bild_146-1968-101-20A | CC-BY-SA 3.0
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1. Der Kulturliebhaber
Goebbels verstand sich immer als Mensch der Kultur. Ob als Heranwachsender in armen Verhältnissen oder als reicher Vierzigjähriger waren Literatur, Geschichte, Malerei, Film, Musik, Theater, Bildhauerei und Gedichte immer ein wichtiger Fixstern in seinem Denken und Handeln. Was ihm dabei entgegenkam, war sein außerordentlicher Intellekt. Gemischt mit einer körperlichen Behinderung – seit Kindestagen an hatte er einen sogenannten „Klumpfuß“, der sich durch gelegentliches Humpeln äußerte – führte bei ihm das eine schnell zu Arroganz und das andere zu Minderwertigkeitskomplexen. Umso überzeugter war er von der Richtigkeit seiner Ansichten über Kultur.
Schon als Kind wurden seine kulturaffinen Begabungen von den Eltern auch trotz immer schwieriger Finanzlage gefördert. Mit elf Jahren begann er das Klavierspielen, war im Schultheater aktiv, gab Nachhilfe und erhielt als besonders talentiertes Kind immer wieder herausragende Unterstützung, Hinweise und Motivation von Lehrern. Er las und las, und mit zwölf Jahren schrieb er sein erstes Gedicht. Nach dem Abitur stellte sich die Frage, was er studieren wollte, worin er von Familie wie fördernden Lehrern beraten wurde. Zur Auswahl standen in der Familie Theologie, zeitweise auch Medizin, aber es wurde dann eine Fächerkombination, die Goebbels’ Talenten und Interessen am ehesten entgegenkam: Altphilogie und Germanistik sowie Geschichte. Von 1917 bis 1921 führte ihn sein Studium an die Universitäten Bonn, Freiburg, Würzburg, München und Heidelberg.
Seine Dissertation („Wilhelm von Schütz als Dramatiker. Ein Beitrag zur Geschichte der Romantischen Schule“) wurde 1921 angenommen, das Rigorosum konnte noch im November stattfinden, und der ehrgeizige Bildungsaufsteiger ließ es sich bis zum Ende in der Reichskanzlei 1945 nicht nehmen, stets als Doktor angesprochen zu werden. Für alle Berufsanfänger waren die frühen 1920er schwierige Zeiten – die Wirtschaft lief mehr schlecht als recht. Mit Nachhilfe, einigen Vorträgen und Pressebeiträgen konnte etwas Geld erwirtschaftet werden, aber das reichte noch nicht zum Leben. Goebbels kam schließlich nicht umhin, widerwillig eine ihm durch seine Partnerin vermittelte, fachfremde Stelle anzutreten. Die Arbeit in der Buchhaltung einer Bank sagte ihm als Mensch der Kultur aber nicht zu: Weder inhaltlich, noch persönlich sah er darin einen großen Sinn. Und finanziell gab die Sache auch nicht viel her.
Das Geld reichte schon vor der Hyperinflation gerade für ein Zimmer und etwas Lebenshaltung, die Eltern schickten gelegentlich Geld wie Lebensmittel zur Unterstützung. Ein halbes Jahr lang quälte er sich mit dieser Situation umher, bis er sich im Sommer 1923 mehrere Wochen krankschreiben ließ, schließlich gekündigt wurde und zurück ins Elternhaus ging: „Warten! Warten!! Wüßte man worauf.“ (30. Juli 1924) Zugleich schrieb er weiter Gedichte und Skizzen für Theater- wie Romanprojekte. Im Sommer 1924 ging er etwa an die Planung eines neuen, größeren Projekts:
„Ich überdenke ein neues künstlerisches Problem. Einen Liebesroman in Briefen. Der Gedanke kam mir gestern beim Lesen und Sortieren von Ankas Briefen an mich und meinen Briefen an Anka [seiner ersten großen Liebe]. Darin liegt ja schon ein ganzer Roman. Der Ton ist richtig. Ich muß nur noch das hineinflechten, was an neuen Problemen den heutigen Menschen erschüttert. Jedenfalls könnte ich mir in einem solchen Roman die ganze Qual um Anka von der Seele schreiben.“
Tagebucheintrag vom 8. August 1924
Erst als er durch eine Veranstaltung der völkisch-nationalsozialistischen Gruppierungen einige von deren Politikern kennenlernte, die sich journalistisch an Parteipresse versuchten, hatte er (unbeabsichtigt und eher zufällig) einige Artikel schreiben und schließlich auch Reden halten können. Bei beiden wurde schnell seine Begabung hierfür deutlich. Er war noch nicht der geübte Artikelschreiber der späteren Jahre, und auch noch nicht der gefasste Redenhalter, der Zehntausende in Ekstase versetzen konnte, aber mit der Erfahrung der nachfolgenden Jahrzehnte wurde er darin immer besser. Seine Reden befassten sich zu jener Zeit vor allem mit dem politisch wichtigsten Problem: Soziale Schieflagen. Er wusste, was seine Zuhörer durchmachten – erlebte er doch bis dahin selbst nichts anderes. Das in Worte zu kleiden, die jeder Zuhörende verstand, die Tonlage spannend und mitreißend zu halten, und inhaltlich eine Argumentation so aufzubauen, dass es schien, als habe er die Probleme erkannt und wisse auch, was zu ihrer Lösung geboten sei, war eines von Goebbels’ größten Talenten.
Diese Begabung ließ sich bald auf alle politischen Themen übertragen, bin hin zur berühmtesten Goebbelsrede vom „Totalen Krieg“. Ab Herbst 1924 durfte er Presseartikel für Parteizeitschriften verfassen und verdiente damit schließlich auch etwas Geld für seinen Lebensunterhalt. Inhaltlich ging es um aggressive Angriffe auf die politische Konkurrenz, um tiefgreifende ideengeschichtliche Auseinandersetzungen der eigenen Ideologie und die Tagespolitik. In der Partei konnte er seine Organisations- und Ordnungsideen einbringen und verdiente nach und nach als Politiker immer mehr Geld. Etwa ab 1928 machte der finanzielle Faktor keine Sorgen mehr. Aber: Politik war nicht immer nur Kulturpolitik, und das machte ihm oftmals zu schaffen. Und doch blieb Kultur in Beruf wie Freizeit ein zentraler Bestandteil seines Lebens. Von Presseartikeln, Theaterstücken und Romanen verfasste er so ziemlich alles, er las und las, er befasste sich intensiv mit Film, Musik und Malerei, und innerhalb seiner politischen Funktionen besaßen diese auch oftmals eine besondere Rolle.
Seiner Propagandazuständigkeit im Rheinland und Ruhrgebiet von 1925 und 1926 folgte 1930 diejenige im gesamten Reich, und als die Partei 1933 reichsweit die Macht errungen hatte, dehnte er als Propagandaminister seinen Anspruch auf die Kulturpolitik immer weiter aus. Verschiedene Kulturkammern waren für einzelne Bereiche wie Bildende Kunst oder Rundfunk zuständig und arbeiteten eng mit dem Ministerium zusammen. Goebbels behielt dabei immer das große Ganze im Blick, versuchte es zu steuern und griff mal mehr, mal weniger intensiv in Einzelprojekte ein. So konnten Inhalte überwacht, Projekte gefördert oder gestoppt, Bewertungen abgegeben und selbst Details wie Dialoge in Drehbüchern oder die Besetzung in Filmen abgeändert werden. Für einen Kulturliebhaber wie Goebbels war die damit verbundene tägliche Arbeit der Kulturpolitik eine willkommene Beschäftigung. Er war aber nicht nur administrativ tätig, sondern schrieb weiterhin regelmäßig Presseartikel zum Nationalsozialismus, dem Krieg, der Kulturpolitik und weiterem. Auch aus seinem Alltag sprach eine tiefe Verbundenheit zur Kultur: Theaterbesuche, Filmvorführungen, Lektüre und nicht zuletzt sein über Jahrzehnte geführtes Tagebuch.
2. Der Familienmensch
Ein Familienmensch war Goebbels grundsätzlich im Sinne des Lebens als Familienverband. Was sich kompliziert anhört, ist auch sehr kompliziert: Goebbels war immer ein Einzelgänger und hatte aufgrund von Zurückweisungen, Depressionen und Verletzungen erhebliche Probleme damit, sich anderen Menschen näher zu öffnen. Umso mehr sehnte er sich immer nach einer Ehefrau, die ihm Erfüllung geben konnte. Mit seinen zeitweiligen Partnerinnen vor der Zeit des großen politischen Erfolgs ab 1929 klappte gerade dies nicht. Und auch jenseits der beiden größeren Beziehungen in den 1920ern sehnte er es sich so sehr herbei, wie er seinem Tagebuch immer wieder anvertraute und auch die gelegentlichen Liebeleien konnten nicht das ersetzen, was er suchte:
„Ich habe Sehnsucht nach der Liebe einer schönen Frau.“ – „Ich muß von den Frauen weg zu einer Frau“
Tagebucheinträge vom 10. September 1928) und (21. Juli 1929)
Mit Magda Quandt, die er 1930 kennenlernte, schien aber das funktionieren zu können, was er sich bei den beiden früheren, längeren Beziehungen so sehr ersehnt hatte. Sie war Nationalsozialistin, war geübt im bürgerlichen Auftreten, sah gut aus, war gebildet und besaß
„einen klugen, aufs Reale eingestellten Lebenssinn und dabei ein großzügiges Denken und Handeln“
Tagebucheintrag vom 15. März 1931
Zu alledem mochte sie ihn sehr. Für Facetten, die er an ihr nicht leiden konnte oder vergebens suchte, fand er später dann mit Affären eine Lösung. Hitler war bei der Hochzeit im Dezember 1931 Trauzeuge. Magda Goebbels brachte mit Harald Quandt einen Sohn aus erster Ehe mit, weitere sechs entstammten der Ehe mit Joseph Goebbels: Helga Susanne (1932), Hildegard Traudel (1934), Helmut Christian (1935), Holdine Kathrin (1937), Hedwig Johanna (1938), Heidrun Elisabeth (1940).
In der Öffentlichkeit wurde die Familie als Vorzeigefamilie präsentiert. Joseph Goebbels war seit der „Frühzeit“ der Partei durch und durch NS-Politiker und mit Verantwortung überhäuft; Magda Goebbels war die perfekte deutsche Ehefrau und Mutter, die ihren Ehemann unterstützte und ein Kind nach dem anderen gebar. Die Kinder wurden immer wieder fotografiert und ihre Bilder erschienen in Illustrierten, private Filme entstanden von der Kinderschar, „Onkel Adolf“ war häufiger Gast und über die gepflegten Goebbels-Kinder noch erfreuter als ohnehin schon über deutschen Nachwuchs, und nicht zuletzt konnte Goebbels seinen Nachkommen eine Sorglosigkeit und einen materiellen Wohlstand mit allen dazugehörigen Zukunftschancen bieten, die ihm verwehrt gewesen waren. Goebbels liebte seine Kinder, daran bestand kein Zweifel. Er hatte mit Helga zwar ein Lieblingskind und mit Helmut aus seiner Sicht ein Sorgenkind, aber sie alle waren ihm als seine kollektive Kinderschar das wichtigste überhaupt. Dass Magda Goebbels 1945 im „Führerbunker“ mit zwei Helfern ihren sechs minderjährigen Kindern zuerst Morphium gab und sie anschließend mit Zyankalikapseln tötete, muss für Joseph Goebbels die schlimmste Entscheidung gewesen sein, die er je zu verantworten hatte – er selbst hatte zuvor zwei Mal versucht, sie dazu zu überreden, dass sie mit den Kindern aus Berlin evakuiert werde, was sie aber ablehnte.
Schließlich gab er nach. In einem besiegten Deutschland ohne Nationalsozialismus sahen beide ohnehin keine Zukunft mehr für sich und ihre Familie. Gerade für die minderjährigen Kinder hatte er Verantwortung (sein volljähriger Stiefsohn war 1945 ohnehin in Kriegsgefangenschaft), und diese Verantwortung sah er vielleicht besser gewahrt durch den Tod, statt sie elternlos aufwachsen oder gar noch den feindlichen Sowjets in die Hände fallen zu sehen.
3. Der Schürzenjäger
Eine Seite an Goebbels, die ihn auch als Familienmensch immer wieder konterkarierte, war die des
Schürzenjägers. Schon unter Zeitgenossen war er in gewissen Kreisen bekannt für seine Frauengeschichten. Die Ausmaße, die sie mitunter annahmen, zeichnen das Bild eines zur Macht
gelangten Mannes, der sich Wirkung und Einfluss auf junge Frauen bewusst war. Das musste nicht
immer bis zum Machtmissbrauch reichen, aber auch diesen gab es ab den Jahren, in denen er zu
Macht und Einfluss aufgestiegen war. Als junger Mann war Goebbels mehrfach von Frauen
enttäuscht worden, und auch er selbst enttäuschte die eine oder andere Partnerin. Da Goebbels
selbst in den entsprechenden Jahren stark unter Selbstzweifeln und Depressionen litt, trafen ihn
solche Enttäuschungen noch mehr, als es ohnehin schon der Fall gewesen wäre. Mit Blick auf
spätere Frauengeschichten und das gelegentliche Ausnutzen seiner Machtpositionen ist
festzustellen, dass sein Verhalten nicht einfach nur auf das Männerbild des Nationalsozialismus
(zumal dieses intakte, (rechts-)konservative Familienbilder miteinbezog) oder das Bewusstsein
zurückzuführen ist, es von einem armen, hungrigen zu einem reichen, einflussreichen Mann
gebracht zu haben. Auch die früheren schmerzhaften Zurückweisungen und Verletzungen spielten
hierbei eine Rolle.
Seine erste große Liebe war Anka Stahlherm. Die beiden lernten sich im Studium kennen, was sofort Probleme bedeutete. Besonders belastend war der gesellschaftliche Unterschied: Sie war wie die meisten Studierenden aus wohlhabendem Hause, das Geld saß locker, er jedoch war der erste Akademiker seiner Familie, die Geldsorgen waren schon ohne das Studium des Sohnes katastrophal. Stahlherm flüchtete sich trotz ihrer Liebe zu Goebbels schließlich 1920 in eine standesgemäßere Ehe, in der sie sie aber nie glücklich wurde. Die Trennung von ihr schmerzte Goebbels so sehr, dass er an Selbstmord dachte. Die Zurückweisung sollte ihn für immer prägen, sein späteres Verhalten gegenüber Frauen nannte er einmal die „Rache der betrogenen Kreatur“. Ein zeitweiliges Liebes-Comeback 1928 bis 1930 war nicht das, was es früher gewesen war: Für ihn gab es etliche andere Liebschaften, eine offizielle Beziehung führten die beiden nicht, und sie war weiterhin verheiratet. Als er seine spätere Ehefrau dann kennenlernte, brach der lockere Kontakt zu Stahlherm ab. Nur gelegentlich gab es noch Kontakt zwischen ihnen: Rund ein halbes Jahr nach der „Machtergreifung“ 1933 wandte sich die geschiedene, in Geldnot lebende Anka Mumme an Goebbels und bat ihn um Hilfe. Er organisierte ihr eine Stelle bei einer Frauenzeitschrift. Finanziell blieb es eng, einmal vermerkte er zwischen zwei anderen Themen in seinem Tagebuch lapidar: „Frau Mumme erzählt mir ihr Leid. Sie ist zu bedauern. Aber was soll man machen.“ (11. Dezember 1936) Das war keine Gefühlskälte: Goebbels hatte 1920 nach der Trennung einfach mit ihr abgeschlossen, alles weitere mit ihr war für ihn Epilog – und vielleicht auch ein Stück weit ein Gefühl der Überlegenheit.
Eine andere wichtige Frau in seinem Leben war Else Janke. Die beiden lernten sich 1922 (also zwei
Jahre nach Goebbels’ Trennung von Stahlherm) auf einem Fest kennen und entdeckten, dass sein
Elternhaus und ihre Beschäftigungsstelle, eine Elementarschule, direkt nebeneinander lagen. Die
Anbahnung der Beziehung dauerte zwar ein paar Monate, aber schließlich wurden die beiden ein
Paar, nannten sich irgendwann gar „Verlobte“, noch ohne eine reguläre Verlobung eingegangen zu
sein. Sie schwärmten füreinander, glichen aber mitunter eher zwei sich liebenden Freunden. Problematisch war zudem, dass Janke sich für Goebbels’ Behinderung vor anderen zu schämen schien. Für ihn war dies keine bedingungslose Liebe und Loyalität, wie er sie sich wünschte. Noch viel problematischer war aber, dass der vom linken Flügel des Nationalsozialismus stammende
Goebbels sich auch hinsichtlich der Themen des rechten Flügels zunehmend weiter „ideologisch
festigte“.
Konkret sein Antisemitismus wurde immer stärker. Janke war aber das, was Völkische
und Nationalsozialisten meistens eine „Halbjüdin“ nannten: Eines ihrer Elternteile war jüdisch. Sie
gestand es ihm nach einigen Monaten, was für ihn aber keine Auswirkungen auf die Beziehung
haben sollte – was dann aber zeitverzögert doch der Fall war. Die Beziehung litt stark unter
Goebbels’ wachsendem Antisemitismus, aber beide hielten an ihr fest und träumten von der
gemeinsamen Zukunft. Erstmals beendete er im Herbst 1925 die Beziehung, ließ sich aber wieder
umstimmen, im Sommer 1926 beendete sie dann die Beziehung, die dann doch wieder ein paar
Wochen weiterköchelte. Erst mit seinem Weggang nach Berlin im Herbst fand die Beziehung ihr
endgültiges Aus. Als „Halbjüdin“ hatten sie und ihr späterer, nicht-jüdischer Ehemann es im NS-
Reich schwer. Goebbels half mehrfach aus. Sie überstanden die Zeit des Nationalsozialismus.
Affären gab es außerhalb der Beziehungen mit Stahlherm und Janke jedenfalls einige, mal mehr, mal weniger. Eine heute besonders bekannte Affäre aber, die noch dazu fast zum Scheitern der Ehe mit Magda Goebbels führte und bei der Hitler schließlich persönlich eingriff, war diejenige mit der Schauspielerin Lída Baarová. Pikant waren hieran gleich mehrere Umstände: Baarová war Tschechin, zu denen der Nationalsozialismus tendenziell ablehnend stand, und für die nach der Besetzung 1939 langfristig eine Kategorisierung geplant war, nach der einige assimiliert werden und einige sterben sollten. Trotzdem stand sie als deutschsprechende Schauspielerin schon vor der Bekanntschaft mit Goebbels vor deutschen Kameras. Dass die Affäre ausgerechnet 1937/1938 auch öffentlich immer deutlicher erkennbar wurde, also nur Monate vor dem Einmarsch ins Sudetenland im Oktober 1938, kam noch hinzu. Zudem aber war die Familie Goebbels in der Öffentlichkeit wie erwähnt mehr oder weniger eine Art nationalsozialistische Vorzeigefamilie, die es als solche aufrechtzuerhalten galt.
Im August 1938 gab es ein klärendes Gespräch zwischen den beiden Frauen, um die Ehe aufrechtzuerhalten und Baarová als drittes Glied hinzuzunehmen – doch Magda Goebbels ging eineinhalb Wochen später zu Hitler, bei dem sie hoch im Kurs stand. Offenbar schüttete sie ihm ihr Herz aus und Hitler erkannte all die parallelen Probleme gleichzeitig. Er beorderte Goebbels zu sich, machte ihm die notwendige Trennung von Baarová deutlich und knüpfte Goebbels’ Politikkarriere als Gauleiter von Berlin, Reichsleiter für Propaganda der Partei und Reichsminister für Propaganda des Staats daran, dass die Ehe nunmehr hielte – und dass Magda Goebbels dem auch zustimmte. Es dauerte zwar einige Monate, aber schließlich stabilisierte sich die Ehe und gewann auch wieder liebevolle Elemente hinzu.
4. Der Idealist
Nationalsozialisten, die sich nach dem verlorenen Krieg und dem Untergang des Reiches darauf beriefen, immer aus falsch verstandenem Idealismus gehandelt zu haben, suchten häufig nur nach einer Rechtfertigung für ihr angeklagtes Handeln. In vielen Fällen mag das stimmen. Bei Goebbels aber wäre das keine Ausrede gewesen, sondern die Realität. Der Nationalsozialismus war eine politische Idee, eine Ideologie und ein Weltbild. Ideologien haben immer Ideale. Diese sind zwar höchst subjektiv, verstehen sich selbst aber meistens als objektiv und einzig wahrhaftig. Beim Nationalsozialismus war beispielsweise die Frage nach sozialer Gerechtigkeit eine äußerst wichtige – auch für Goebbels. Sein frühes Eintreten für den Nationalsozialismus – von lokaler Parteiorganisation bis hin zu ersten, ehrenamtlichen Presseartikeln – war nicht karrieregetrieben. Es ging dabei um Ideale, um die Überzeugung, sich für etwas sinnvolles und richtiges einzusetzen.
Und trotz aller finanziellen Annehmlichkeiten, die sich für Goebbels bis zu seinem Selbstmord 1945 daraus ergaben, blieb er immer auch Idealist. In den früheren Jahren, in der er sich bereits für den Nationalsozialismus engagierte, hatte er keine monetären Vorteile oder Anreize. Vielmehr musste mit gelegentlichen Nachteilen gerechnet werden, denn Beleidigungen, Falschdarstellungen und die ständigen Reibereien vor allem mit den Kommunisten wurden verfolgt. Geldstrafen waren zum Beispiel für die Nationalsozialisten der Weimarer Republik etwas völlig normales geworden. Nicht selten kamen Haftstrafen hinzu, denen Goebbels selbst nur durch Zufälle wie seine spätere Abgeordnetenimmunität entging. Als Goebbels Mitte der 1920er Jahre begann, sich für den Nationalsozialismus einzusetzen, standen die Chancen für dessen baldige Machtübernahme sehr schlecht. Goebbels war hiervon nicht aus Weitsicht überzeugt, sondern weil er ein Idealist war und an den Erfolg der eigenen Ideologie wie an eine
Religion glaubte.
Der gesamte Idealismus spricht ihn keinesfalls von (wertneutraler) Verantwortung frei. Idealismus und Verantwortung sind keine Gegensätze, nur werden viele Idealisten ihrer Verantwortung oftmals nicht mehr gerecht, weil sie sie ausblenden. Goebbels aber wusste bis zuletzt, was er machte. Er reflektierte das eigene Handeln und ordnete sich selbst in das größere Ganze ein. Goebbels war sich seiner Möglichkeiten und seiner Macht bewusst, und nutzte sie im Sinne dessen, was er für richtig erachtete, so etwa, wenn er wenige Wochen vor Kriegsende in sein Tagebuch schrieb: „Für mich sind solche astrologischen Weissagungen [Hitlers über die neuen Flugzeuge als „Wunderwaffen“] ohne jeden Belang; aber ich habe doch die Absicht, sie für eine anonyme und getarnte Propaganda in der Öffentlichkeit zu benutzen, denn in dieser kritischen Zeit greifen die meisten Menschen nach jedem, wenn auch noch so schwachen Rettungsanker.“ (30. März 1945) Ziel war und blieb die Machterringung, später dann Aufrechterhaltung des Nationalsozialismus, und wenn der Krieg eines Tages gewonnen sein würde, könnte endlich der nationale Sozialismus weiter vorangetrieben werden. Die sozialistischen Einstellungen von Goebbels blieben immer präsent, Goebbels stets von
der Richtigkeit der Anschauungen des linken, sozialistischen Parteiflügels überzeugt.
Damit einher ging auch die Vorstellung einer Art Opfergang. Wenn Goebbels von seiner Arbeitsbelastung erschöpft, von Rückschlägen deprimiert, von anderen Nationalsozialisten enttäuscht war, disziplinierte er sich selbst immer wieder mit Verweis auf Pflicht und Verantwortung, so etwa nach einem abermaligen öffentlichen Redeverbot für Hitler in Bayern 1925:
„Der alte Jammer. Aber eine Idee läßt sich nicht unterdrücken. Der Gedanke lebt und wird leben.
Tagebucheintrag vom 16. März 1925
Wir jungen Männer müssen ihn zur Tat machen. Opfern! Das Reden hilft nichts. Handeln!
Sozialisten der Tat sein. Wie wenig sind wir das. Wahre Christen sein! So schwer, so wahnsinnig
schwer ist das!“
Es ist nicht falsch, dass Goebbels ein Machtmensch war, dass er Einfluss ausnutzte für persönliche
Vorteile, Intimfeinde auch politisch zu schaden versuchte und im innerparteilichen Machtkampf
keine Skrupel zeigte. Und es kann auch mit guten Argumenten darüber diskutiert werden, ob
Goebbels irgendwann Machtpolitik um der Macht willen betrieb. Der Anfang aber, also der
Ausgangspunkt seines späteren Einflusses, war Idealismus.
5. Der Einzelgänger
Bei all den bisher hier gezeigten Facetten des Joseph Goebbels mag es vielleicht etwas überraschen,
aber Goebbels war und blieb immer ein Einzelgänger. Bis Ende der 1920er Jahre war das eine mehr
oder weniger von außen aufgezwungene Lebensform, späterhin aber war sie auch selbstgewählt.
Als Kind stach er in vielerlei Form unter den Gleichaltrigen hervor: Er war erstens sehr intelligent,
zweitens im Gegensatz zum Bildungserfolg aber nicht aus gebildetem Hause, und drittens von einer
körperlichen Behinderung betroffen. Als der Erste Weltkrieg begann, und die jungen Männer um
ihn herum in Scharen in den Kampf zogen, musste Goebbels daheim bleiben. Der 16 Jahre alte
Gymnasiast war wie die meisten Gleichaltrigen von der Mobilmachung und dem Weggang älterer
Brüder und Freunde tief beeindruckt – er selbst konnte aber nicht Soldat werden. Was ihm durch
sein Gebrechen verwehrt blieb, war andererseits auch eine Chance für ihn.
Denn während des Abitur war er vor allem von jungen Männern und Frauen umgeben, die aus gehobeneren Teilen der Gesellschaft stammten. Bildungsaufsteiger wie er waren Ausnahmeerscheinungen. Dadurch, dass die jungen Männer massenweise einrückten, war der soziale Druck im Abitur etwas vermindert. In seinem Studium erging es ihm ähnlich. Die soziale Exklusivität der Studierenden jener Zeit war für Goebbels anfangs dadurch abgeflacht, dass er im Wintersemester 1917/1918 zu studieren begann – drei Semester vor dem Waffenstillstand. Doch fiel auch dort immer wieder seine Andersartigkeit auf: Trotz einem Studiendarlehen, Geld seines Vaters und Nachhilfestunden für Schüler reichten die Finanzen nur gerade so zum Leben, während die meisten seiner Kommilitonen mit vollen Taschen und ohne finanzielle Sorgen durch das Studium gehen konnten. Die Verteilung von Vermögen – konkret Geldmitteln – in der Gesellschaft beschäftigte Goebbels sein Leben lang, ob als Mittzwanziger mit halbleerem Magen oder als reicher Mittvierziger in der schuldenfreien Villa.
Goebbels warf sich immer gerne in Menschengruppen hinein – er zog sich nicht in sich selbst zurück, sondern ging aktiv auf Mitmenschen zu. Das integrierte ihn sozial und schliff einige einzelgängerischen Eigenschaften ab. Er war also kein Einzelgänger, der sich vor der Welt versteckte, sondern einer, der in ihr agierte, innerhalb dieser aber doch immer ein Exot war. Das blieb nicht ohne Folgen für sein Menschenbild, oder wie es sich einmal in seinem Tagebch äußerte:
„90 % der Menschen sind Canaillen, 10 % halbwegs gut. Darum müssen diese 10 % über die 90 % herrschen, soll der Staat bestehen können.“
Tagebucheintrag vom 25. September 1924
Gelegentliche Verzweiflung, Enttäuschung und auch Wut prägten ihn sein Leben lang, vor allem aber bis zum Durchbruch der NSDAP 1929/1930. Verschiedene Ereignisse wirkten zusätzlich auf Goebbels ein. Der Waffenstillstand 1918 verwirrte ihn, die Besetzung des Rheinlands ohnehin, Liebeleien wie Liebeskummer des jungen Mannes und die seiner Meinung nach unangebrachte Demokratie schlugen neben dem Sterben von befreundeten Soldaten auf ihn ein. Seine Eindrücke von Ostern 1919 spiegelten seine Stimmungen: „Keine Post. Zensur. Abgekühlt. Meine Geldnot. Stundengeben. Anka will Sparkassenbuch für mich entwenden. Ihr Kampf zu Hause. Kann nicht heraus. Kein Paß. Zu Hause Beratung.“
Der Einzelgänger litt vor allem in der ersten Hälfte der 1920er streckenweise unter Depressionen. Die Lage war für ihn zu bedrückend: Die berufliche Situation war auch für einen hoch qualifizierten Bildungsaufsteiger wie ihn aufgrund der völlig zerrütteten volkswirtschaftlichen Lage schlecht, die Beziehungen mit Anka Stahlherm und Else Janke schwankten zwischen Hoffnungen und Enttäuschungen, und die politische Lage, die dem aufmerksamen Zeitgenossen Goebbels stets im Blickfeld lag, bereitete ihm Bauchschmerzen. Er motivierte sich und fand auch immer Gründe weiterzumachen („Negativ denken macht müde, trostlos und verzweifelt. Zurück zum Positiven.“), aber die Verzweiflung war an vielen Tagen jener Jahre deutlich zu fassen, etwa wenn er seinem Tagebuch anvertraute:
„Ich lebe in einer ständigen nervösen Unruhe. Dieses Elend des Schmarotzens. Ich zerbreche mir den Kopf darüber, wie ich diesem unwürdigen Zustande ein Ende bereiten kann. Nichts will – ja nichts kann gelingen. Man muß zuerst alles ablegen, was man so eigene Ansicht, Zivilkourage, Persönlichkeit, Charakter nennt, um in dieser Welt der Protektion und der Carriere auch eine Zahl zu werden. Ich bin noch keine. Eine große Null. Werde wohl auch schwerlich eine werden.“
Tagebucheintrag vom 28. Juli 1924
Politischer Erfolg, Geld und Annerkennung für seine Leistungen in der Partei verminderten solche schmerzhaften Momente ab 1929/1930. Aber ein Einzelgänger blieb Goebbels weiterhin. Zu wenig
verstanden fühlte er sich von den Menschen um ihn herum, zu weit überlegen und zu unterschiedlich. In Verbindung mit Machtpolitik, einer besonderen Beliebtheit bei Hitler und seiner gelegentlichen Arroganz war er deshalb bis zum Ende 1945 ein umstrittener Mann in der NS-Führung, jemand, den andere Mitglieder der NS-Führung ungerne zum Feind hatten, aber auch nicht unbedingt als Freund suchten; er blieb ein Exot.
Seine Rezeption nach 1945 jedenfalls zeigt die spezielle Verhaftung Goebbels’ in der Erinnerung der Menschen deutlich auf: Goebbels ist bis heute eine der bekanntesten Nationalsozialisten, sein Name wird meistens in einem Atemzuge mit Hitler und Heinrich Himmler genannt. Goebbels war zwar einer der mächtigsten Nationalsozialisten, aber nur diese drei Personen als allmächtige Strippenzieher zu sehen, wäre falsch. Öffentlich hingegen blieben sie aber so im Gedächtnis der Menschen: Der „Führer“ Hitler, der „Bluthund“ Himmler und der „Verführer“ Goebbels. Ein anderer Amtsinhaber als Goebbels wäre vielleicht nicht in diese Aufzählung geraten; Goebbels blieb den Menschen einfach besonders im Gedächtnis haften.
Daniel Meis, hauptberuflicher Historiker, studierte Geschichte, Politikwissenschaft & Rechtswissenschaft an den Universitäten Wuppertal, Hagen & Bonn. In Bonn promovierte er auch von 2020 bis 2022. Seit 2020 lehrt er an der Universität Düsseldorf, ab 2022 zusätzlich auch an den Universitäten Bonn & Stuttgart. Seine Schwerpunktbereiche in Forschung & Lehre sind Biografik, Mediengeschichte, Nationalsozialismus, Regionalgeschichte & Unternehmensgeschichte.
Literatur und Auswahlbibliographie
- Heiber, Helmut: Joseph Goebbels, München 1988.
- Höver, Ulrich: Joseph Goebbels. Ein nationaler Sozialist, Bonn/Berlin 1992.
- Longerich, Peter: Goebbels. Biographie, München 2012.
- Reuth, Ralf Georg: Goebbels. Eine Biographie, München/Zürich 2000.
- Goebbels, Paul Joseph: Tagebücher 1924–1945, 5 Bände, München/Zürich 2003.
Herausgegeben von Ralf Georg Reuth.