„Den Sozialismus in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf“
(Sozialistischer Spruch, selbst zitiert von) Erich Honecker – 1989.
„Planwirtschaft“ – „Verhältnisse wie in der DDR“: Diese politischen Schlagworte erster Klasse kennt jeder. Ihr häufigster Zweck heute: Wirtschaftspolitische Eingriffe des Staats kritisieren und diskreditieren. Aber selten treffen solche Schlagworte in den alltäglichen Auseinandersetzungen der Tagespolitik zu, denn eine Marktwirtschaft verwandelt sich nicht plötzlich in eine Planwirtschaft, wenn der Staat in die Wirtschaft eingreift, und staatliche Eingriffe müssen nicht zwangsläufig planwirtschaftlichen Charakter besitzen.
Was aber war diese Planwirtschaft der DDR überhaupt? Inwiefern unterschied sie sich von marktwirtschaftlichen Mechanismen? Welche Rolle spielte die kommunistische Ideologie auf der einen und die ökonomischen Handlungszwänge auf der anderen Seite? Nur wer die DDR-Planwirtschaft versteht, begreift die politische Geschichte der DDR und die bis heute spürbaren wirtschaftlichen Folgen in Ostdeutschland.
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1. Was ist eine Planwirtschaft?
Einfach gestellte Fragen sind selten einfach zu beantworten – zumindest wenn sie sachlich sein sollen. Gerade bei Planwirtschaften erweist sich eine einfache Erklärung als besonders schwierig, zumal in Planwirtschaften Politik und Wirtschaft Hand in Hand gehen, also im Einzelnen kompliziert zu entwirren sind.
1.1. Definitionsprobleme des „Planwirtschaft“ Begriffs
Eine Planwirtschaft als solche zu beschreiben und zu definieren hat immer mit einem zentralen Problem zu kämpfen: Die „reine Planwirtschaft“ war immer Theorie und unerreichte Utopie. Die vielen Versuche, eine Planwirtschaft umzusetzen, trafen auf unterschiedliche Umstände, mussten verschiedene Rücksichten nehmen und waren gelegentlich so stark mit marktwirtschaftlichen Elementen durchsetzt, dass eher eine Mischform als eine „normale“ Planwirtschaft vorlag. Definitionsvorschläge und gebräuchliche Definitionen für eine „Planwirtschaft“ gibt es trotzdem viele:
„Bezeichnung für eine Wirtschaftsordnung, in der das gesamte wirtschaftliche Geschehen von einer zentralen Stelle nach politischen und wirtschaftlichen Zielvorstellungen geplant, gelenkt und verwaltet wird. Der Staat bzw. staatliche Planungsbehörden auf allen Planungsebenen bestimmen die gesamte Produktion (das heißt, wer welche Güter womit herstellt), die Verteilung (das heißt, wer welche Güter wo erhält) und die Preise aller Güter und Dienstleistungen.“
Bundeszentrale für politische Bildung -„Lexikon der Wirtschaft“
Eine „Planwirtschaft“ ist also (stark verkürzt gesprochen) eine Volkswirtschaft, die nach einem vorgefassten Plan abläuft. Damit hängt auch der ebenfalls für Planwirtschaften genutzte Begriff „Zentralverwaltungswirtschaft“ zusammen, der im Grunde das gleiche bedeutet – denn der Wirtschaftsplan ist von einer zentralen Verwaltung entworfen und vorgegeben; die Unterschiede zwischen beiden Formen liegen vor allem in Eigentumsfragen und Organisationsabläufen. Zudem wird durch die zitierte Definition auch deutlich, dass das gesellschaftspolitische System hinter einer Planwirtschaft nicht zwangsläufig das des Kommunismus sein muss. Es verhält sich wie mit Daumen und Fingern, denn jeder Daumen ist ein Finger, aber nicht alle Finger sind Daumen: Das Wirtschaftsmodell des Kommunismus ist zwar die Planwirtschaft, aber planwirtschaftliches Handeln ist nicht auf den Kommunismus beschränkt. Auch in anderen politischen Systemen können planwirtschaftliche Elemente genutzt werden; das aktuell anschaulichste Beispiel ist etwa Venezuela.
Eine solche Definition wie die zitierte wirkt sehr eindeutig. Aber so einfach lassen sich nicht alle Planwirtschaften in der Geschichte zuordnen. Das Problem besteht vor allem darin, dass eine idealtypische Planwirtschaft nie etabliert worden ist; irgendwo innerhalb der als Planwirtschaften bekannten Volkswirtschaften waren immer unklare, mehrdeutige Ansätze vorhanden. Deren extremste Ausprägungen sind die bis heute existierenden Planwirtschaften Chinas, Kubas und Vietnams, die eher Mischformen von Plan- und Marktwirtschaften ähneln als idealtypischen Planwirtschaften. Auch Nordkorea besitzt zwar eine Planwirtschaft, doch selbst diese weist spezielle Elemente auf, wie etwa die Abkapselung des Militärsektors, besondere Wirtschaftsprojekte mit Südkorea oder auch den Touristikbereich. Deutlich wird beim Vergleich historischer Planwirtschaften, dass sie allesamt ein gewisses Maß an Individualität besaßen, und keine von ihnen der anderen im Detail glich.
Dennoch, oder gerade deshalb gilt: Die Abgrenzung von Plan- und Markwirtschaft ist wohl der Schlüssel zum Verständnis der Funktionsweise von Planwirtschaften. Auch Markwirtschaften haben keine eindeutigen Grenzen und können planwirtschaftliche Politiken aufweisen. Aber beide Wirtschaftsordnungen können zur Illustration idealtypisch und vereinfacht einander gegenübergestellt werden: Eine Marktwirtschaft weist einen freien Markt ohne staatliche Eingriffe auf, bei dem sich das ökonomische Verhalten nach Angebot und Nachfrage gestaltet. Erfährt etwas eine besondere Nachfrage, steigt das Angebot, um der Nachfrage aus eigenem Interesse nachzukommen; ist die Nachfrage gesättigt, wird das Angebot zurückgehen, weil es nicht abgesetzt werden kann – eine Planwirtschaft hingegen läuft gemäß einem Plan ab, in dem der Bedarf zuvor eingerechnet ist. Sodass soziale Begleitprobleme des allmählichen Austarierens von Angebot und Nachfrage ausgeschlossen sind.
Wie erwähnt: So idealtypisch wie hier vorgestellt kommen die beiden Wirtschaftsformen nie vor. Planwirtschaften etwa müssen immer mal wieder auf marktwirtschaftliche Weltmarktpreise zur Orientierung zurückgreifen und Marktwirtschaften besitzen immer Sektoren, in denen der Staat wie etwa beim Öffentlichen Personennahverkehr zielorientiert eingreift. Dennoch sind die Grenzen beider Ordnungsmodelle ungefähr absteckbar – wenn es sich nicht gerade um ein Mischmodell wie etwa in China handelt.
1.2. Funktionsweise einer Planwirtschaft
Ablauf von Wirtschaftsleben und Wirtschaftspolitik sind in Planwirtschaften immer relativ starr gewesen. Ausgangspunkt war das politische Zentrum des Staats, in der Regel also die kommunistische Partei. Diese gab wirtschaftliche Ziele vor, etwa eine verstärkte Industrialisierung, eine erhöhte Fördermenge von Rohstoffen, höhere Produktionszahlen und weiteres. Die Ziele erklärten sich dabei immer aus politischen Gründen. Bei diesen Planzielen, die immer unterteilt waren in kurz-, mittel- und langfristige Vorhaben, ging es stets um relativ genaue Größen, etwa eine ungefähre Gewichtsangabe von mehr Getreide, eine Richthöhe von mehr Maschinen oder eine Größenordnung von weniger Investitionsvolumen. Die Orientierung hierzu folgte immer an bis dahin vorliegenden Statistiken – aber die vorgegebene Richtung, die Ziele und die Zwischenschritte bis dahin waren politische Entscheidungen. Sie wuchsen nicht organisch aus Angebot und Nachfrage wie bei der Marktwirtschaft, sondern waren künstlich. Genau das erwies sich als ein strukturelles Problem.
An dieser Stelle könnte eingeworfen werden, warum der künstliche Charakter problematisch sein sollte. Die Schwierigkeit liegt im Zustandekommen der künstlichen Systematik. Sie spiegelte schlicht nicht die realen Bedürfnisse und Möglichkeiten wider, wie es in der Marktwirtschaft immer zeitverzögert auftreten. Es stellt sich nämlich die Frage, warum die jeweilige kommunistische Partei davon überzeugt war, dass sie über Bedürfnisse der Bevölkerung und dem zur Befriedigung Notwendigen entscheiden könne, woher also ihre Kompetenz rühre. Die Antwort liegt in der kommunistischen Ideologie: Sie geht nicht „nur“ wie jede Ideologie subjektiv davon aus, dass sie die einzige Wahrheit und „die“ „richtige“ Weltanschauung sei. Der Kommunismus fußt vielmehr auf der Überzeugung, dass seine Träger (also die kommunistische Partei) Vorreiter der Gesellschaft seien, die im Gegensatz zur breiten Masse der Bevölkerung den Durch- und Weitblick in der Geschichte habe. Daher müsse sie die Bevölkerung auch führen und erziehen, bis die Menschen „die Wahrheit“ selbst sehen und verstehen können. Ökonomisch bedeutet dies, dass nur die Partei entscheiden könne, was für eine übergeordnete Richtung einzuschlagen sei, welche Ziele die richtigen sind und welche Zwischenschritte wichtig seien. Wären die Entscheidungsträger allwissende Geschöpfe, würde dies Sinn machen, aber Menschen sind immer Menschen: Sie sind sozialisiert, erzogen, und selbst bei größter Mühe zur Neutralität häufig noch subjektiv. Wenn es wirtschaftspolitische Entscheidungen zu treffen gilt, kommt das naheliegenderweise noch stärker hervor. Die Marschrichtung wurde in Planwirtschaften sozusagen von einer Elite vorgegeben, die davon überzeugt war, nur sie wisse die richtige Marschrichtung; andere Meinungen, Ansätze und konkret in Volkswirtschaften Innovationen von Akteuren außerhalb der Elite, waren nicht vorgesehen und in der Regel auch kaum erwünscht.
Planwirtschaften waren deshalb stets innovationschwach. Wenn nur die Spitze der Partei die grobe Marschroute vorgeben soll und laut Ideologie auch nur sie es kann, widersprechen auswärtige Innovationen der Ideologie und damit subjektiv der einzigen Wahrheit. In Planwirtschaften gab es für eine solche Unterdrückung der Innovationen keinen Ersatz; die geringen Spielräume, aus denen sich in mittleren und unteren Instanzen der Volkswirtschaft Innovationen bilden konnten, hatten weder besondere Anreize noch Möglichkeiten, häufig war sogar das Gegenteil der Fall.
Gut ersichtlich wird das am konkreten Zustandekommen eines Wirtschaftsplans. Die kommunistische Spitze gab immer gewisse Ziele aus, die an sich Rahmenbedingungen glichen, aber noch nicht detailliert ausdifferenziert waren. In diesem Stadium ging es primär um die große und übergeordnete Politik: Wo soll sich das Land in den nächsten fünf Jahren hin entwickeln, und wohin in den einzelnen Jahren? Soll die Industrialisierung verstärkt vorangetrieben werden? Welche Sektoren sollen dabei vor allem begünstigt werden? Und welche Bereiche sollen mit Blick auf begrenzte Mittel stagnieren oder sogar schrumpfen? Soll beispielsweise in die Industrialisierung der Landwirtschaft investiert werden, um die Erzeugnisse anwachsen zu lassen und Arbeitskräfte freizusetzen? Aber mit welchem Geld ist das zu finanzieren, bis wann sollen welche groben Ziele der Industrialisierung erreicht werden und mit wie vielen Erzeugnissen ist dann zu rechnen? Wie viel wird davon benötigt und kann bei einem Überschuss Außenhandel damit betrieben werden?
Es ging also um bereits sehr spezifizierte Entwicklungsrichtungen einzelner Wirtschaftsbereiche, ohne aber bis auf den einzelnen Betrieb, Arbeiter, Zeitraum oder das Produkt runterrechnen zu wollen oder zu können. Hierfür waren andere Ebenen zuständig. Die von der Politik festgelegten ökonomischen Rahmenbedingungen wurden also an die mittlere Instanz weitergereicht, die in Planwirtschaften zumeist aus Verbünden der Unternehmen gleicher Branche oder aber Verbünden der Unternehmen gleicher Region bestanden. Diesen oblag es dann, den Rahmen mit weiterem Leben zu füllen und den Bedarf sowie den voraussichtlich erreichbaren Ausstoß näher einzuschätzen. Hiernach ging es wieder eine Ebene tiefer, nämlich konkret zu den einzelnen Betrieben. Dort mussten die Planvorgaben weiter ausgearbeitet werden, wozu jeder Betrieb einen eigenen Wirtschaftsplan aufstellen musste, der alle relevanten Positionen enthielt: Vom benötigten Material bis hin zu den Arbeitsnormen. Solche recht detaillierten Pläne in den einzelnen Betrieben aufzustellen, funktionierte nur durch Rückgriff auf Richtwerte aus den vergangenen Jahren.
Theoretisch könnte bis zu diesem Punkt ein allwissender Mensch an der Spitze des Systems einen genialen Plan durchsetzen. Doch wie erwähnt: Menschen sind Menschen. Und Menschen können nicht nur irren und subjektiv vielleicht richtige, objektiv aber unzutreffende Entscheidungen treffen, sondern auch an die eigenen Vorteile denken. Oder anders formuliert: Nicht nur an der Spitze des Systems wurde subjektiv-menschlich gehandelt, sondern auch in den darunter liegenden Ebenen. Denn Unternehmensverbünde und Einzelbetriebe waren darauf bedacht, sich selbst zu schützen. Das Prinzip dahinter war relativ einfach: Wer stets den Plan erfüllen oder sogar übererfüllen kann, muss erstens keine negativen Zurücksetzungen fürchten und kann zweitens auf ökonomische Erleichterungen hoffen. Um eine problemlose und regelmäßige Planerfüllung oder Übererfüllung ohne besonderen Aufwand sicherzustellen, mussten nur einige kleine Vorbereitungen getroffen werden: Wenn die Rahmenvorgaben von oben kamen und mit den eigenen Details auszufüllen waren, was sie dafür benötigten und was sie damit leisten könnten, musste ein „Puffer“ zur Sicherheit eingebaut werden. Im Wirtschaftsalltag wurden deshalb alles nur irgendwie mögliche gehortet: Es wurden mehr Arbeitskräfte veranschlagt, es wurden mehr Materialen beansprucht, es wurden längere Produktionszeiten genannt, es wurden niedrigere Produktionsziffern angegeben, es wurde mehr auf Quantität statt Qualität geachtet und so weiter. Durch eine solche Hortung waren die Betriebe immer auf der sicheren Seite: Sollte in der ineffizienten Planwirtschaft wieder irgendwo eine Lieferstockung eintreten, sich unvorhersehbare Produktionsausfälle ereignen oder gar Normerhöhungen von oben durchgedrückt werden, könnten sie ihren eigenen Plan dennoch erfüllen. Naheliegenderweise leisteten sie damit auch ihren eigenen Beitrag zur Ineffizienz der Planwirtschaft, aber sie selbst waren sich subjektiv-menschlich betrachtet näher als dem nächsten Betrieb, der Volkswirtschaft oder gar dem Kommunismus.
Die Umgehung des von oben strukturell hart gewollten Wirtschaftsplans durch Dehnung der Vorgaben zum eigenen Vorteil ging als „weicher Plan“ in die Geschichte ein. Die „weichen Pläne“ waren zusammen mit der bereits erwähnten Innovationsschwäche also sehr hinderlich für das Wirtschaftsleben. Innovationen waren eigentlich nur von oben „geplant“, aber überall neigen Menschen zum Experimentieren und Ausprobieren. In der Marktwirtschaft ist gerade diese Eigenschaft der Menschen auch überlebensnotwendig: Ohne Innovationen bleibt jemand auf der Strecke, kann dem Konkurrenzdruck nicht standhalten und wird von fremden oder gar neueren Produkten abgehängt. Unternehmen sind also zu Effizienz gezwungen, um weiterbestehen zu können: Sie brauchen Ideen und müssen dabei ihre Ausgaben decken; hierbei streben sie nach möglichst viel Gewinn. Anders war es in der Planwirtschaft: Es gab schlicht keinen Effizienzzwang, denn die allgemeinen Rahmenbedingungen kamen ohne eigenes Zutun von oben. Wenn unerwarte Unternehmensgewinne auftraten, wurden diese abgeschöpft. Wenn marktwirtschaftlich orientierte Prämien für Produktionssteigerungen in Aussicht gestellt wurden, war damit die Furcht vor späteren Normerhöhungen verbunden. Wenn doch mal ein Betrieb besondere Innovationen zuließ, konnte dies Vorteile mit sich bringen, wenn diese politisch positiv aufgenommen wurden und in die aktuelle Politik passten. Schlimmstenfalls aber führten diese nur zu einer erhöhten Erwartungshaltung: Wenn ein Fließband bei gleichem Aufwand schneller laufen kann, kann ja auch mehr Produktionsausstoß erwartet werden.
Während der Plan also auf dem Weg von oben nach unten mit weiterem Leben gefüllt wurde, machten sich die strukturellen Probleme der Planwirtschaft bereits bemerkbar – ohne, dass bis dahin auch nur ein einziges Produkt hergestellt wurde. Nachdem die einzelnen Betriebe ihre Aufgaben der Planerstellung erfüllt hatten, lief der Planentwurf wieder zurück nach oben. Der Partei- und Staatsführung waren die strukturellen Probleme bekannt, aber diese wurden teilweise unterschätzt, teilweise auf andere Faktoren zurückgeführt, teilweise aber auch erkannt. Nachhaltig ändern konnte die Führung daran jedoch in keiner Planwirtschaft etwas, weil es schlicht inhärente Probleme der planwirtschaftlichen Strukturen waren. Änderungspotential wie etwa die Erhöhung der Effizienz durch materielle Anreize für Betrieb und Belegschaft widersprachen durch das darin enthaltene individuelle Gewinnstreben dem politischen Gedanken, der hinter der Planwirtschaft stand; solche Teilexperimente waren also immer nur möglich, wenn die politische Führung bereit war, etwas von der orthodoxeren Linie der Ideologie abzuweichen.
Wenn der Plan jedenfalls wieder oben angelangt war, wurde dieser diskutiert und teilweise auch vereinzelte Änderungen angebracht, aber das „Große Ganze“ lag mit dem Entwurf bereits vor. Der Entwurf wurde nunmehr nur noch leicht ausgearbeitet und alles miteinander verbunden; damit wurden die Rahmenbedingungen, deren Ausdifferenzierungen und die betrieblichen Einzelpläne in Einklang gebracht und in ein Gesamtwerk verwandelt, das schließlich in Gesetzesform verabschiedet und während der Ausführung von einer eigenen Behörde überwacht wurde. Der Plan wurde damit gesetzliche Realität, ein Verstoß war illegal. Die strukturellen Probleme der Planwirtschaft wurden damit zementiert und sogar noch verschlimmert: Wenn die Qualität der eigenen Produktion minderwertig war, musste der im Plan vorgesehene nachfolgende Betrieb sie dennoch abnehmen. Zugleich musste der eigene Betrieb stets mit minderwertigen Produkten anderer Zulieferer rechnen – und das war der Moment, in dem sich die „weichen Pläne“ für die Betriebe im wahrsten Sinne des Wortes „auszahlten“, da sie quantitativen Ersatz hatten und ihren Plan immer noch erfüllen konnten.
Grundsätzlich war das gesamte Wirtschaftsleben vom planwirtschaftlichen System erfasst. Dabei gab es zwei Bereiche, die besonders heikel waren: Erstens der Außenhandel mit anderen Staaten und zweitens die Währung beziehungsweise konkret die Preise. Transnationaler Handel erfolgt in der Marktwirtschaft über Unternehmen, die grenzüberschreitende Geschäfte durchführen wollen. Für eine Planwirtschaft ist gerade das ein Problem, denn das würde bei der Steuerung der Warenströme der eigenen Wirtschaft bedeuten, dass etwas vom Plan nicht erfasst wäre – etwas, worauf die eigene Partei keinen Einfluss hätte, und was den kommunistischen Autonomiebestrebungen widersprach. Würde etwa ein Betrieb aus einer Planwirtschaft mit einem Unternehmen aus einer Marktwirtschaft Handel treiben wollen, beispielsweise ein landwirtschaftlicher Betrieb mit einem Maschinenbaubetrieb zum Einkauf neuer Maschinen, wäre der Vertragsgegenstand ökonomische Verhandlungssache – also etwas, was im Wirtschaftsplan, in dem der Betrieb aus dem kommunistischen Land erfasst war, kaum zuverlässig eingespeist werden könnte.
Daher übernahm der Staat einfach den kompletten Außenhandel und organisierte ihn für die einzelnen Betriebe. Im Außenhandel mit dem „sozialistischen Ausland“ war das leichter als im Umgang mit dem „Klassenfeind“ im „kapitalistischen Ausland“, denn bei den „sozialistischen Bruderländern“ konnten sich die Beteiligten im Sinne gemeinsamer Hilfen und Solidarität auf gewisse Festpreise zu Sonderkonditionen einigen.
Ein anderes Problem war die Preisgestaltung. Die Planwirtschaft war aus Sicht der Ideologie eigentlich nur eine Übergangsform, bis im Endziel des Kommunismus durch Aufhebung von Privateigentum, Einebnung von Vermögensunterschieden und friedlichem Zusammenleben ohne staatlicher Autorität die Preise dank Tauschhandel nicht mehr nötig wären. Bis dahin wären Preise aber wohl oder übel unumgänglich. Die Preise konnten sich in Planwirtschaften jedoch nicht frei bilden, wie es in Marktwirtschaften durch Angebot und Nachfrage möglich ist. Auch hier musste also wieder politisch eingeschritten werden: Preise wurden einfach aus der Zeit vor der Revolution übernommen, eingefroren und/oder gelegentlich angepasst. Nach einer gewissen Zeit aber entsprachen solche Preise keineswegs mehr der Realität, schon gar nicht im Außenhandel. Es blieb nur der Rückgriff auf Weltmarktpreise zur eigenen Orientierung. In Planwirtschaften gab es daher offzielle und inoffizielle (Schwarzmarkt-)Preise. Preisreformen, Subventionen, sich verändernde Weltmarktpreise und die Entwicklung der eigenen Wirtschaftsstrukturen erschwerten jedoch die Aufrechterhaltung eines halbwegs stimmigen Preises. Dieses Problem wurde in keiner Planwirtschaft gelöst und musste zwangsläufig solange anhalten, bis die Utopie des Kommunismus erreicht würde.
Nach dieser langen Erläuterung der Funktionsweise einer Planwirtschaft könnten sich mehrere Verständnisfragen ergeben. Eine heute besonders häufig gestellte Frage ist, warum Planwirtschaften als ökonomische Ordnungsmodelle mitunter attraktiv erschienen, wenn sie doch so viele Probleme aufwiesen. Die Frage lässt sich recht einfach mit Verweis auf die politische Dimension beantworten: Welches Wirtschaftsmodell auf dem Territorium eines Staats existieren soll, ist vorrangig eine politische Angelegenheit. Hinter Planwirtschaften standen meistens kommunistische oder zumindest sehr weit linksgerichtete Systeme. Diesen lag gemäß der Natur ihrer politischen Ideen immer daran, soziale Probleme der Marktwirtschaft durch staatliche Eingriffe auszugleichen und auszuschalten. Heute gibt es die historische Erfahrung, dass Planwirtschaften zwar funktionieren, aber nur mit erheblichen Problemen und schädlichen Begleiterscheinungen für Mensch, Natur und Material. Doch diese Erfahrung der Probleme und Begleiterscheinungen gab es für viele Zeitgenossen noch nicht, die vor rund 100 Jahren die ersten Planwirtschaften erlebten und die vor rund 70 Jahren die Etablierung planwirtschaftlicher Modelle in etwa einem Drittel der Welt sehen konnten – zumal diese Einführungen der Planwirtschaften zumeist auf (gewaltsame) Durchsetzungen von ideologischen Minderheiten zurückzuführen waren. Gegenüber Marktwirtschaften, vor allem den sozial wenig abgefederten Ausformungen, konnten Planwirtschaften aber zumindest einen für viele Zeigenossen anziehenden Werbevorteil vorweisen: Die ärgsten sozialen Begleiterscheinungen des freien Marktes konnten durch die Gemeinschaft auffangen werden und es fuhren nicht mehr Unternehmer, Großaktionäre und anonyme fremde Unternehmen Gewinne auf Kosten der Belegschaft ein; vielmehr sollte die Gemeinschaft durch die verstaatlichen Unternehmen und staatlichen Wirtschaftspläne im Mittelpunkt stehen. Auch heute und in Deutschland werden immer mal wieder Planwirtschaften als Alternativen zur (sozialen) Markwirtschaft zur Debatte gestellt, häufig mit dem Hinweis versehen, „richtige“ Planwirtschaften haben sich nie entfalten können. Tatsache ist aber, dass die strukturellen Probleme der Funktionsweise von Planwirtschaften nie gelöst wurden und bis heute keine Lösungsansätze dafür vorliegen. Solange Menschen subjektive Wesen bleiben, können sie keinen perfekten Wirtschaftsplan aufstellen – auch wenn der Kommunismus davon ausgeht, dass dies möglich sei.
2. Umsetzung der Planwirtschaft in der DDR
Die Umsetzung der Planwirtschaft in der DDR spiegelt in vielerlei Hinsicht das wider, was bereits zu Beginn des vorliegenden Beitrags erwähnt wurde: Jede Planwirtschaft war individuell. Konkret im Falle der DDR gab es sehr hinderliche Voraussetzungen und Weichenstellungen in den ersten Jahren der Etablierung und diverse Spezifika, die in den nachfolgenden Jahrzehnten die ostdeutsche Ausprägung der Planwirtschaft kennzeichneten.
2. Ostdeutsche Voraussetzungen und Weichenstellungen für den Aufbau einer Planwirtschaft
Die Voraussetzungen für die Planwirtschaft auf dem Territorium der späteren DDR waren sehr speziell. Der mitteldeutsche Raum des Deutschen Reiches war lange zusammengewachsen. Über Jahrzehnte und Jahrhunderte entstandene Wirtschaftsräume auseinanderzureißen: Das braucht viel Zeit, um zu Verheilen, und etliche Handelsrouten können überhaupt nicht wiederhergestellt werden. Besonders die Mitte des Deutschen Reiches war eine stark industrialisierte Region, zumal speziell Sachsen und Thüringen auch noch von Evakuierungen der Fabriken aus luftkriegsgefährdeten Gebieten profitierten. Mit dem Kriegsende 1945 und der Zerschlagung des Reiches wurde die mitteldeutsche Region ersatzlos abgetrennt von den deutschen Ostgebieten jenseits der Oder und den Westgebieten jenseits der Elbe. Lieferketten von Landwirtschaft und Industrie wurden zerschnitten, die Städte waren zerbombt, Millionen Vertriebene aus dem Osten strömten in ein zerstörtes Land. Auf den ersten Blick könnte das wie eine optimale Ausgangssituation für den Wiederaufbau erscheinen: Viele Millionen Hände, die Schutt aufräumen und neue Wirtschaftskreisläufe in Gang setzen würden. Tatsächlich aber wurde von Außen in diesen Aufbauprozess grundlegend eingegriffen.
Ein Problem waren die Besatzer: Die sowjetischen Soldaten nahmen massenweise bewegliche Güter an sich, und die sowjetische Verwaltung demontierte Tausende Betriebe als Reparationsgüter. Selbst Gleise wurden abgebaut, jede Menge Wissenschaftler und Fachkräfte zur Arbeit in der Sowjetunion abtransportiert, Waren aus der laufenden Produktion entnommen: Wie sollte in einer solchen Situation eine Planwirtschaft installiert werden? Hinzu kam ein Umstand, der in den meisten kommunistischen Parteiführungen stets auf Unverständnis traf:
Wieso sind die Menschen immer so angetan von Konsum und Wahlmöglichkeiten in der Marktwirtschaft? Schließlich boten Planwirtschaften handfeste Vorteile: Sichere Arbeitsplätze, ausgebaute Sozialleistungen, in Teilen betriebliche Mitbestimmung. Für die DDR war die Attraktivität marktwirtschaftlicher Herkunft besonders schwierig zu ertragen, denn direkt an ihr angrenzend lag das Konkurrenzmodell der markwirtschaftlichen BRD. Und diese war nicht „nur“ erfolgreich, sondern galt schon ab Mitte der 1950er Jahre als einer der ökonomisch stärksten Staaten der Welt, inklusive eines ganz besonders stark ausgebauten Sozialstaats. Beide Systeme waren überzeugt, auf Dauer attraktiver als das jeweils andere zu sein. Die Menschen aus der DDR liefen aber massenweise in die BRD – nicht andersherum.
Die DDR war kein souveräner Staat; auch die Bundesländer der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) waren nicht frei in ihren Entscheidungen. Was mit der SBZ beziehungsweise der DDR geschehen sollte und für sie geplant war, wird bis heute kontrovers diskutiert: Wann wäre eine Vereinigung der Besatzungszonen möglich gewesen? Zu welchen Bedingungen wäre das erfolgt? Und waren das überhaupt realistische Szenarien? Klar ist, dass sich die drei Westzonen und ihr östliches Pendant schon 1945, vor allem aber ab 1947, schnell auseinander entwickelten. Erste kurz- und mittelfristige Wirtschaftspläne wurden in der frühen Nachkriegszeit bereits durch die kommunistische SED aufgestellt, teilweise auch unterstützt durch die anderen Parteien, die noch nicht ganz dem Machtmonopol der SED erlegen waren. Aber an langfristige Planungen, mehrjährige Pläne konnte erst herangegangen werden, nachdem deutlich geworden war, dass es erstens keine sonstwie gearteten Vereinigungen mit anderen früheren Teilen des Reiches geben, zweitens die Sowjetunion ihre Hand über ihren neuen mitteleuropäischen Vorposten halten statt ihn weiter auszubeuten und drittens die kommunistische SED ihre Macht gesichert haben würde. Dieser Zeitpunkt war spätestens 1951 gekommen.
2.2. Spezifika der DDR bei der Aufrechterhaltung der eigenen Planwirtschaft
Auch eine Marktwirtschaft hätte es bei den destruktiven Ausgangsbedingungen der DDR schwierig gehabt. Eine Planwirtschaft musste es umso schwieriger haben. Die Wirtschaftsgeschichte der DDR war von einem ständigen Auf und Ab geprägt, doch selbst die Aufs waren mit allen Begleiterscheinungen versehen, die Planwirtschaften so mit sich bringen können. Die kommunistische Führung versuchte mehrfach gegenzusteuern und die eigene Volkswirtschaft zu retten, aber die strukturellen Probleme einer Planwirtschaft trafen auf DDR-spezfische Umstände, die schließlich das Scheitern der ostdeutschen Planwirtschaft rapide beschleunigten. Unter anderen, besseren, also geeigneteren Umständen als den erläuterten hätte sich die Planwirtschaft in der DDR vielleicht länger halten können; aber ein Dauermodell konnte sie nicht sein – dazu waren ihre Folgen zu schädlich.
Als nach Beginn des Kalten Krieges die DDR zum Vorposten des „Ostblocks“ wurde, entwickelte sie sich rasch zu einem strategischen Hebel: 1. Der Kommunismus war mit der DDR bis nach Mitteleuropa hineingetragen worden; 2. Das gesamtdeutsche Militär- und Wirtschaftspotential war mit der Einverleibung eines Teiles des Reiches in den kommunistischen Machtbereich deutlich gemildert und für die eigene Seite nutzbar gemacht; 3. Eine Vereinigung der deutschen Einzelteile war ohne Involvierung der kommunistischen Führungsmacht der Sowjetunion nicht möglich; 4. Ökonomisch war die DDR innerhalb des „Ostblocks“ die zweitstärkste Macht; 5. Durch die westdeutsche Weigerung einer staatsrechtlichen Anerkennung der DDR gab es faktisch keine Zollgrenze zwischen den beiden deutschen Staaten, sodass Waren beider Blöcke unverzollt fließen konnten; 6. Geostrategisch war es für die konventionell überlegenen Armeen des „Ostblocks“ im Ernstfall nicht weit von der Elbe bis zum Atlantik; 7. und nicht zuletzt war mit der DDR zumindest ein Teil Deutschlands bereits kommunistisch beherrscht, und gerade Deutschland galt aus kommunistischer Sicht mit Blick auf sein Industriepotential und seine Arbeiterschicht bis Ende der 1950er Jahre als zentral für Voranschreiten und Erfolg der kommunistischen Weltrevolution. Dass die ostdeutschen Kommunisten oder die Sowjetunion die DDR ohne absolute Notwendigkeit aufgeben würden, war ausgeschlossen. Sie musste erhalten bleiben, egal zu welchem Preis.
Zu Beginn der 1950er Jahre wurde mit dem dauerhaften Auf- und Ausbau der Planwirtschaft in der DDR begonnen: Mehrjährige Pläne, Einjahrespläne, Verstaatlichungen, Kollektivierungen, Diskriminierung und Verdrängung des Privatsektors und beschleunigte Industrialisierung gaben vorerst den Ton an. 1953 eskalisierte die Situation jedoch: Im Aufstand vom 17. Juni entluden sich politische Unzufriedenheit über das immer drastischere Machtmonopol der SED zusammen mit wirtschaftlichen Frustrationen über die angespannte Ernährungslage, während Unsummen in Militär und Schwerindustrie gelenkt wurden. Auslöser für die Streiks und Massendemonstrationen war eigentlich „nur“ das eine Tröpfchen, welches das Fass zum Überlaufen brachte: Um die katastrophale Wirtschaftslage zu stabilisieren wurden zehnprozentige Normerhöhungen beschlossen, also zehn Prozent mehr Leistung für den gleichen Lohn. Die SED stand dem Aufstand leicht verwirrt gegenüber; erst die sowjetischen Panzer erstickten die Unruhen. Die Macht der SED war zwar mit Gewalt gesichert worden, aber ihr war deutlich vor Augen geführt, dass in der Wirtschaftspolitik dringend umgesteuert werden musste, um langfristig überleben zu können.
Folge war ein Wandel in der Wirtschaftspolitik: Die Sowjetunion fürchtete um ihren ostdeutschen Vorposten. Die DDR-Führung nahm nicht nur die Normerhöhungen zurück, sondern begünstigte kurzfristig die Konsumgüterindustrie, um die Zufriedenheit der Bevölkerung zu verstärken. Finanziert wurde das alles faktisch durch Moskau: Die restlichen Reparationen wurden gestrichen, Schulden erlassen, ein großer Kredit zur Stopfung der ärgsten Löcher gewährt, zusätzliches Öl und Lebensmittel geliefert.
Zwar besserte sich dadurch der Alltag der Menschen etwas, aber das ging naheliegenderweise zulasten der eigentlichen Wirtschaftsziele der SED, deren Erreichnung sich damit weiter verzögerten. Am großen, langfristigen Vorhaben des Aufbaus einer „reinen“ Planwirtschaft änderte aber auch der Aufstand vom 17. Juni 1953 nichts. Die SED und Moskau waren lediglich in ihrer Arbeit aufgeschoben, nicht aber aufgehalten worden. Dementsprechend wurde auch den systeminhärenten Problemen der Planwirtschaft nicht wirksam begegnet, denn dies hätte nur über grundlegende marktwirtschaftliche Reformen funktionieren können.
Die Etablierung der Planwirtschaft schritt in den nachfolgenden Jahren bis 1961 weiter voran. 1956 endete der erste Fünfjahrplan und wurde vom zweiten abgelöst; der Fokus lag nach wie vor auf einem rabiaten Ausbau der Industrie, vor allem der Schwer- und Rohstoffindustrie. Die wenigen verbliebenen privaten Betriebe (die trotz Diskriminierung bei der Einbindung in die Wirtschaftspläne und gesellschaftlicher Zurücksetzung ihrer Träger 1955 beispielsweise immer noch 15 Prozent der Produktion in der Industrie erbrachten) wurden staatliche Beteiligungen aufgedrängt. Zu schnell und rabiat sollten sie nicht verstaatlicht werden, denn dafür waren sie immer in der fragilen Wirtschaftslage der DDR noch zu wichtig – doch die neue Politik gegenüber den privaten Betrieben zeigte den mittelfristigen Trend hin zu einer völligen Verdrängung der Privatwirtschaft an.
Weniger vorsichtig ging die DDR-Führung in der Landwirtschaft vor, in der die Kollektivierung der vielen Einzelhöfe nach dem Aufstand 1953 zwar kurz verlangsamt worden war, mit dem zweiten Fünfjahrplan 1956 aber das Tempo wieder aufgenommen wurde. Die Kollektivierung bedeutete im Arbeitsalltag der landwirtschaftlich Tätigen eine Aufgabe und Zusammenlegung der Einzel- zu Großflächen, eine genossenschaftliche Bewirtschaftung der Flächen und je nach Fortschrittstypus der „Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften“ (LPG) auch eine genossenschaftliche Nutzung von Maschinen, Tieren und weiterem. Waren 1953 „nur“ knapp 12 Prozent der Landwirtschaft kollektiviert, waren es 1961 bereits über 84 Prozent. Für die Betroffenen waren die Folgen schmerzhaft: Die wenigsten gaben freiwillig ihre Höfe auf, ob es sich nun um erst wenige Jahre zuvor neu angesiedelte Bauern handelte, die aus den deutschen Ostgebieten vertrieben worden waren, oder um Kleinbauern, deren Familien seit Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten auf ihren Bauernhöfen lebten. Zudem war die Produktivität der gemeinsamen Großflächenbewirtschaftung wie in der gesamten Planwirtschaft vergleichsweise gering und blieb teilweise gar von Subventionen abhängig.
Massenweise verließen von der Kollektivierung betroffene Bauernfamilien ihre Heimat und gingen nach Westdeutschland. Übrig blieben überdurchschnittlich viele Neubauern und Landarbeiter, die nicht die Kompetenzen der alteingesessenen Bauern besaßen. Die Wachstumsraten etwa in der Landwirtschaft wirkten für sich betrachtet dennoch sehr erfolgreich. Hierbei gilt es zweierlei zu bedenken: Erstens arbeitete sich das Land aus der Kriegsniederlage hoch, jede Aufbauarbeit war also eine hohe Wachstumsrate; zweitens war die DDR innerhalb des „Ostblocks“ hinsichtlich Industrie und Kollektivierung ein Vorreiter.
Für planwirtschaftliche Verhältnisse war die DDR also trotz der genannten Probleme erfolgreich. Die Probleme rissen aber nicht ab und mussten sich langfristig existenzbedrohend bemerkbar machen. Das Effizienz- und Innovationsproblem war noch nicht so akut wie in späteren Jahrzehnten, weil noch eine gewisse Zeit lang von früheren Innovationen und Vorsprüngen profitiert werden konnte. Das Finanzproblem nicht ausreichender Investitionen war ebenfalls noch einige Jahre überbrückbar, bis es die Substanz der Wirtschaft angreifen würde – so schien es zumindest. Die üblichen Umweltprobleme der Planwirtschaft wurden ohnehin ignoriert. Ernst wurde aber schon in den 1950er Jahren die massenhafte Abwanderung. Die DDR hatte bei ihrer Gründung 1949 18,8 Millionen Einwohner, und trotz dem weiteren Zuzug einiger Hundertausender Vertriebener aus dem Osten besaß die DDR 1960 nur noch 17,2 Millionen Einwohner. Und wie stets bei Wanderungsbewegungen waren es vor allem die Jahrgänge der Erwerbstätigen und innerhalb dieser ganz besonders Akademiker und Facharbeiter, die der DDR den Rücken kehrten.
Zwischen 1951 und 1961 verlor die DDR mehr als 13 Prozent seiner Erwerbstätigen. Die DDR-Führung war alarmiert, wusste aber gegen die „Republikflucht“ kein nachhaltig wirksames Mittel. Langfristig würde sich das eigene System überlegen zeigen, war sich die kommunistische Führung sicher, aber bis dahin müsste das System überhaupt einmal erhalten bleiben. Die innerdeutsche Grenze besaß aber so viele Schlupflöcher, Wälder und Flüsse, dass eine lückenlose Überwachung schon aus personellen Gründen nicht möglich war – vom Problem des offenen West-Berlin als westlicher Insel tief im kommunistischen Osten gar zu schweigen. Ost-Berlin sah zur Vermeidung des „Ausblutens“ nur noch die Möglichkeit der Errichtung eines gewaltsamen Hindernisses – der Mauer. Moskau musste bei einem solch heiklen Thema naheliegenderweise zustimmen, zumal gleichzeitig die politischen West-Berlin- und Kuba-Krisen zu eskalieren drohten. Der Mauerbau rettete schließlich die DDR, die Menschen konnten nur noch sehr erschwert flüchten.
Die nachfolgenden zehn Jahre von 1961 bis 1971 waren vor allem von verschiedenen kleineren Experimenten geprägt, die die ökonomischen Probleme beheben sollten; die Hintergrundidee des „Neuen Ökonomischen Systems der Planung und Leitung“ (NÖSPL), wie es offiziell hieß, war simpel: „Der Markt sollte ein Steuerinstrument der zentralen Wirtschaftsinstanzen sein“ (André Steiner). Um die Preise logischer zu gestalten, wurden neue Festpreise eingeführt, die zwar angepasst waren, aber trotzdem weiterhin künstlich und nur temporär halbwegs äquivalent waren. Zudem sollte die mittlere Instanz gestärkt werden, indem sie mehr Verantwortung bei der übergeordneten Planausgestaltung erhielt, ohne aber die dazu notwendigen übergeordneten Informationen oder Kompetenzen übertragen zu bekommen. So sollte sie zu Effizienz und härteren Plänen gezwungen werden. Doch das blinde und erhöhte Wirtschaften machte die Angelegenheit nur noch schlimmer: Die Betriebe nutzten die Situation in ihrer Not einfach aus und trieben die „weichen Pläne“ zu neuen Blüten. Die im Außenhandel tätigen Betriebe erhielten ebenfalls mehr Eigenständigkeit vom Staat, allerdings war die Abkapselung vom marktwirtschaftlichen Weltmarkt und seinem Konkurrenzdruck inzwischen so stark vorangeschritten, dass die neue Handlungsfähigkeit kaum Betätigungsfelder fand. Diese Reformen der 1960er Jahre liefen also allesamt ins Leere und stärkten schließlich nur die orthodoxeren Kräfte der Partei, die den Reformen kaum etwas abgewinnen konnten. Es fehlte 1970 nicht mehr viel, um das Übergewicht von den Reformern zu den Orthodoxen kippen zu lassen; der Machtkampf verband sich schließlich mit einem Generationenkonflikt und den gleichzeitigen deutsch-deutschen Annäherungsversuchen. Nach Druck aus Moskau zog sich Walter Ulbricht als der starke Mann zurück und überließ das Feld Erich Honecker.
Neue Wege mussten beschritten werden, um im Systemwettbewerb bestehen zu können. Die Lösung wurde in der (erst ab 1975 so genannten) „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“ gesehen. Sozialpolitik sollte nunmehr im Mittelpunkt der politischen Bestrebungen stehen und die Bevölkerung näher an den Sozialismus binden sowie die Loyalität gegenüber Partei und System stärken – alles verbunden mit der Hoffnung, dass eine sozialpolitisch zufriedene Bevölkerung auch eine höhere Leistung in der Wirtschaft zeigen würde. Aber selbst wenn das so geschehen würde, müssten bis dahin Jahre mit angespannter Wirtschaftslage bei gleichzeitig erhöhten Sozialausgaben in Kauf genommen werden.
Sozialpolitisch machte die DDR in den nachfolgenden Jahren in diesem Sinne enorme Fortschritte: Arbeitsstunden wurden herabgesetzt, Urlaubstage aufgestockt, Hunderttausende neue Wohnungen gebaut, Konsummöglichkeiten durch neue und mehr Produkte vom Kühlschrank bis zum Kraftfahrzeug vorangetrieben und vieles weitere. Das letztendliche Ziel der erhöhten Bindung an die DDR und den Kommunismus wurde aber nicht erreicht. Die DDR-Führung stand dem unverständlich gegenüber: Warum waren die Menschen nicht zufriedener? Verglichen mit den Jahren der Weimarer Republik, den Kriegsjahren des NS-Reiches und der Nachkriegszeit ging es ihnen doch gut? Das Problem lag einfach darin, dass die ostdeutsche Bevölkerung nicht wie ihre Partei- und Staatsführung zum Vergleich der eigenen Lebenssituation in die Vergangenheit blickte, sondern in die Gegenwart, konkret nach Westdeutschland. Die DDR konnte noch so große Erfolge vorweisen und selbst der zweitwichtigste Staat des „Ostblocks“ sein, aber solange ein naheliegender Vergleich mit den anderen Deutschen, also den entfernten Verwandten im „kapitalistischen Ausland“ der BRD zu dem Ergebnis führte, dass es dort noch besser lief, mehr Konsum bestand und mehr Wohlstand herrschte, konnte die DDR wenig ausrichten. Dass der Vergleich total schief war, weil es sich bei dem westdeutschen Staat um einen der ökonomisch erfolgreichsten der Welt und nicht einen beliebigen Durchschnittsfall handelte, half der DDR-Führung aber auch nicht weiter.
Sozialpolitisch machte die DDR in den nachfolgenden Jahren in diesem Sinne enorme Fortschritte: Arbeitsstunden wurden herabgesetzt, Urlaubstage aufgestockt, Hunderttausende neue Wohnungen gebaut, Konsummöglichkeiten durch neue und mehr Produkte vom Kühlschrank bis zum Kraftfahrzeug vorangetrieben und vieles weitere. Das letztendliche Ziel der erhöhten Bindung an die DDR und den Kommunismus wurde aber nicht erreicht. Die DDR-Führung stand dem unverständlich gegenüber: Warum waren die Menschen nicht zufriedener? Verglichen mit den Jahren der Weimarer Republik, den Kriegsjahren des NS-Reiches und der Nachkriegszeit ging es ihnen doch gut?
Das Problem lag einfach darin, dass die ostdeutsche Bevölkerung nicht wie ihre Partei- und Staatsführung zum Vergleich der eigenen Lebenssituation in die Vergangenheit blickte, sondern in die Gegenwart, konkret nach Westdeutschland. Die DDR konnte noch so große Erfolge vorweisen und selbst der zweitwichtigste Staat des „Ostblocks“ sein, aber solange ein naheliegender Vergleich mit den anderen Deutschen, also den entfernten Verwandten im „kapitalistischen Ausland“ der BRD zu dem Ergebnis führte, dass es dort noch besser lief, mehr Konsum bestand und mehr Wohlstand herrschte, konnte die DDR wenig ausrichten. Dass der Vergleich total schief war, weil es sich bei dem westdeutschen Staat um einen der ökonomisch erfolgreichsten der Welt und nicht einen beliebigen Durchschnittsfall handelte, half der DDR-Führung aber auch nicht weiter.
Ab Mitte der 1970er Jahre wurden die Probleme der DDR-Wirtschaft immer akuter. Die Ölkrise traf in den ersten Jahren zwar nur den Westen, da der „Ostblock“ mit dem „Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe“ (RGW) über ein Instrument verfügte, sich untereinander mit wichtigen Waren zu Festpreisen zu versorgen. Die Gegenwerte wurden dafür in Waren geliefert, die der jeweils andere Staat benötigte. In die DDR floss etwa sowjetisches Öl und in die Sowjetunion wurden ostdeutsche Maschinen geliefert. Wegen der allgemeinen Preisproblematik von Planwirtschaften mussten die Gegenwerte in Geldwerte umgerechnet werden, die sich seinerseits an den Weltmarktpreisen vergangener Jahre orientierten. Der Preisexplosion für Öl entging die DDR deshalb vorerst; sie machte hieraus gar ein Geschäft, indem sie das billig erworbene sowjetische Öl in den Westen exportierte und zu gewinnbringenden Preisen verkaufte. Nachdem der Ölpreis auf dem Weltmarkt wieder sank und die Sowjetunion im RGW auf neuen, kurzfristiger angepassten Preismodellen bestand, kehrte sich dieser Trend aber schlagartig um.
In beiden Fällen – beim Weiterverkauf des Öls in den Westen wie bei den teurer werdenden sowjetischen Lieferungen – musste die DDR auf Ersatzstoffe zur Ergänzung zurückgreifen: Verflüssigte Kohle. Durch Kohlehydrierung konnte dringend benötigtes Öl beschafft werden.
Und die DDR benötigte enorm viel Energie: Die Industrie brauchte an sich bereits viel Energie; die Privathaushalte bezogen stark subventionierte Energie in Form von Strom wie Heizmaterial, was zu verschwenderischem Verbrauch führte; die Kohlekraftwerke liefen faktisch am Anschlag; und der Abbau wurde radikal ohne Rücksicht auf Mensch, Natur und Material vorrangetrieben. In dieser Situation wären Investitionen in die Energiewirtschaft sehr wichtig gewesen, aber hierfür war erstens wenig Geld und zweitens noch weniger Gelegenheit da.
Der Planwirtschaften inhärente Drang nach Autonomie – schon alleine um den eigenen Wirtschaftsplan möglichst wenig störanfällig von äußeren Einflüssen zu machen – setzte die Energiewirtschaft noch weiter unter Druck: Mehr Kohle zum Verheizen, zum Hydrieren und zum Verstromen musste gefördert werden.
Spätestens ab 1982 fielen die verschiedenen ökonomischen Probleme der DDR-Wirtschaft zusammen und führten faktisch zu einer dauerhaften Wirtschafts- und Finanzkrise der DDR. Die Innovationsschwäche machte sich inzwischen so sehr bemerkbar, dass selbst die verzweifelten Versuche des Diebstahls geistigen Eigentums im Westen keine Erfolge mehr zeitigen konnten – besonders eindringlich zeigte sich das bei den Mikrochips. Weltmarktfähig waren DDR-Produkte maximal in Ansätzen, während die Investitionsprobleme inzwischen zu dem Umstand führten, dass der Weiterbetrieb häufig nur noch durch erhöhten Verschleiß und damit zunehmenden Verlust der Substanz möglich war. Für verbesserte Verfahren fehlten die finanziellen Mittel. Die immer weiter wachsende Auslandsverschuldung (vor allem beim westlichen „Klassenfeind“) nahm überhand; sie fraß Devisen wie Einnahmen und damit den eigenen Spielraum weiter auf. Und die außenpolitische Abhängigkeit von der selbst strauchelnden Sowjetunion sowie deren Rohstoffen, drohte die letzte und wichtigste Garantie der DDR in Frage zu stellen: Die Sowjetunion als ostmitteleuropäische Vormacht. Das einzige Problem, das noch keine Existenzbedrohung bedeutete, war ausgerechnet das langfristig gefährlichste: die Umweltzerstörung. Die Umweltprobleme durch radikalen Rohstoffabbau, mangelnde Filter in der Industrie und viele weitere ökonomische Zwangslagen wurden weiterhin ignoriert, warnende Stimmen teils gar kriminalisiert. 1988 betrug der Schadstoffausstoß bei Schwefeldioxid in Westdeutschland 4,6 Tonnen pro Quadratkilometer – in Ostdeutschland hingegen 48,1 Tonnen; der Schwebstaubaustoß lag im Westen bei 1,8, im Osten bei 20,3 Tonnen. Nur in Fällen wie Stickoxiden konnte die DDR leicht unter der BRD bleiben – was aber beim Vergleich vom Autoland Westdeutschland und den jahrelangen Lieferzeiten für Kraftfahrzeuge in Ostdeutschland kaum näher verwundern kann.
Ende der 1980er Jahre wurde die wirtschaftliche Lage von der DDR-Führung zwar intern diskutiert, aber Lösungsansätze gab es für die vielen gleichzeitigen Probleme keine. Es hätte realistisch auch keine geben können, ohne die politische Stabilität der DDR entscheidend zu gefährden. Welche Möglichkeiten hätte es rein theoretisch gegeben? Eine Idee wäre gewesen, die Sozialpolitik radikal zurückzufahren: Lebensmittelpreise und Mieten wären enorm angestiegen, der Konsum eingebrochen, Arbeitszeiten hätten zudem noch verlängert werden können. Dass dies aber in einem Staat, der bei seiner Bevölkerung ohnehin bereits kaum Akzeptanz besaß, nicht zu einem noch rascheren Zusammenbruch geführt hätte, erscheint hoch wahrscheinlich. Eine andere Idee wäre gewesen, marktwirtschaftliche Elemente einzuführen: Gewinn- und Innovationsanreize für Belegschaften einführen, ohne dies mit daraus folgenden Normerhöhungen faktisch zu bestrafen und damit von vornherein zu verhindern. Das hätte jedoch die Planwirtschaft als solche in Frage gestellt – einen Schritt weiter vielleicht sogar die Herrschaft der kommunistischen SED. Und überhaupt: Was würde eine im Extremfall sogar marktwirtschaftlich strukturierte DDR noch für eine Bestandslegitimation gegenüber BRD und „Ostblock“ haben?
Die DDR-Führung versuchte das, was zuvor in solchen Notsituationen immer geholfen hatte: Sie wandte sich an Moskau. Aber die Sowjetunion war mit ihren inneren Umstrukturierungen viel zu sehr beschäftigt und ökonomisch so sehr angespannt, dass sie der DDR nicht mehr helfen konnte und wollte. Moskau empfahl Ost-Berlin innenpolitische Reformen wie in der Sowjetunion – aber die SED war vom sowjetischen Reformexperiment nur abgeschreckt und verblieb umso hartnäckiger bei ihrem orthodoxen Kurs.
Weitere Auslandsverschuldung im Westen hingegen war theoretisch weiterhin möglich, aber der Preis hierfür war problematisch. Es drohte Überschuldung ohne jede Chance auf Ausgleich. 1981 konnten Polen und Rumänien, die vor ähnlichen planwirtschaftlich bedingten Problemen standen, ihre Schulden nicht mehr bedienen. Für die DDR stand ähnliches zu erwarten, was den Niedergang nur noch weiter beschleunigte, denn die Angst vor einem Zahlungsausfall ließ westliche Geldgeber 1981 etwa 40 Prozent ihrer kurzfristigen Anlagen zurückziehen. Die BRD sprang mehr oder weniger durch Bürgschaften ein, um eine politische Krise wie in Polen zu verhindern – denn die Folgen wären bei der DDR unabsehbar gewesen. So stabilisiert gelang es der DDR kurzfristig weitere Umschuldungen vorzunehmen und sich etwas Spielraum zu verschaffen – ohne aber die verantwortlichen Probleme, also die systeminhärenten Widersprüche, anzugehen. Verschuldung und Schuldendienst wuchsen damit immer weiter an: 1988/1989 war unklar, wie lange noch durchgehalten werden könnte. Spätestens 1991 – zumindest das war klar – wäre die Zahlungsunfähigkeit unabwendbar.
Mit weiteren sehr hohen Krediten könnte vielleicht weitere Zeit verschafft werden, um durch radikale Zusammenstreichungen des Militärs und der Sozialleistungen doch noch die Kurve zu bekommen, aber im Gegenzug dafür musste der BRD etwas angeboten werden. Keine zwei Wochen vor dem Mauerfall im Herbst 1989 schlug eine interne Analyse für die DDR-Führung vor, der BRD im Austausch für die entsprechenden Kredite Maßnahmen anzubieten, durch die „noch in diesem Jahrhundert solche Bedingungen geschaffen werden könnten, die heute existierende Form der Grenze […] überflüssig zu machen“. Die Mauer im Austausch gegen Kredite: Dieses gewagte Spiel hätte nur funktionieren können, wenn die DDR die Gelder zum Luftholen genutzt und gleichzeitig die Planwirtschaft und damit ihre Probleme abgeschafft hätte. Denn bei weiter existierenden Problemen der Planwirtschaft und zugleich offener Grenze wäre die DDR wie bis zum Mauerbau 1961 rasch an ihre Belastungsgrenze gelangt – zumal Ende der 1980er sowieso bereits Hundertausende über die Tschechoslowakei und Ungarn flohen: „So oder so: Die DDR-Planwirtschaft war 1989 am Ende ihrer Möglichkeiten angelangt.“ (Daniel Meis) Die gewagten Pläne der DDR-Führung waren aber rasch überholt, als die Mauer nach viel politischem Druck, letztlich aber durch einen Zufall fiel. Der politische Zusammenbruch kam dem wirtschaftlichen nur kurz zuvor.
4. Abwicklung der DDR ab 1989
Nach den politischen Ereignissen rund um den Mauerfall und das rasche Vorantreiben einer Vereinigung beider deutscher Teilstaaten mussten in kürzester Zeit grundlegende wirtschaftspolitische Entscheidungen gefällt werden. Im ersten Moment wurde die Wirtschaft der DDR mit westdeutscher Hilfe aufrechterhalten, um Zeit für Entscheidungen zu gewinnen. Die politischen Verhandlungen der für eine Vereinigung der deutschen Teilstaaten zu beteiligenden Staaten Frankreich, Großbritannien, USA und Sowjetunion führten rasch zu den Ergebnissen, dass der Ostteil Deutschlands dem Westteil beitreten würde, also auch die Wirtschaftsordnung des Ostteils ihr Ende finden sollte. Im deutsch-deutschen Staatsvertrag beispielsweise wurden die drei Unionen von Wirtschaft, Währung und Sozialem beschlossen, darin enthalten waren auch hoch umstrittene Vorhaben wie der Ausgleich des DDR-Haushalts oder die Festsetzung von West- und Ostmark zum Wechselkurs von 1:1. Kurz nach dem Mauerfall war der Wechselkurs auf dem Schwarzmarkt noch bei zeitweise bis zu 1:20 gewesen, bis zum Sommer 1990 kurz vor der Währungsunion sank er auf 1:8.
Einige Entwicklungen wirkten zeitgenössisch wie heute überstürzt und hastig, um die Vereinigung beider deutscher Teil schnellstens zu erreichen. Gerade Personengruppen, die von der Wiedervereinigung Deutschlands scheinbar nicht profitierten, erhoben den Vorwurf, alles sei zu schnell durchgewunken worden, um schnell vorzeigbare Ergebnisse zu erhalten. Fakt ist aber: Zu viel Zeit durfte nicht vergehen. Das Zeitfenster für die Wiedervereinigung inklusive aller wirtschaftspolitischen Aspekte war sehr eng.
Wenige Jahre früher oder später wäre die internationale Situation und die innenpolitische Lage in den vier zu beteiligenden Staaten Frankreich, Großbritannien, USA und Sowjetunion nicht mehr günstig gewesen; eine Wiedervereinigung wäre nur sehr schwer möglich gewesen, wenn überhaupt. Die Abwicklung der DDR-Planwirtschaft war sowieso völlig anders gedacht gewesen, als sie sich dann tatsächlich ereignete. Die DDR war bekannt gewesen als die zweitstärkste Volkswirtschaft des „Ostblocks“. Dementsprechend groß waren die Erwartungen, als die fast völlig in staatlicher Hand befindliche Wirtschaft privatisiert werden, und die Erlöse den früheren DDR-Einwohnern zugute kommen sollten. Die neugeschaffene Treuhandanstalt sollte als eigene Behörde die Privatisierungen organisieren und durchführen, notfalls auch Sanierungen organisieren.
Die Wirtschaft war aber in einem viel schlechteren Zustand, als die negativste Einschätzung im Westen es erwartet hatte. Es gab Milliarden an verheimlichten und verdeckten Schulden, und die Arbeitsabläufe waren völlig veraltet sowie ineffizient. Zudem war der Verschleiß mangels Investitionen an die Substanz gegangen, und eine Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt war durch die Abkapselung vom Welthandel bis auf Ausnahmen überhaupt nicht vorhanden. Auch die Umweltprobleme erwiesen sich als gravierender und folgenreicher, als von der DDR-Führung jemals eingestanden, und nicht zuletzt war die ostdeutsche Wirtschaft immer noch industriell geprägt, während Westdeutschland bereits zur Dienstleistungsgesellschaft überging.
Die Abwicklung war bis auf die Rekultivierung der Umweltzerstörungen (an denen bis heute gearbeitet wird) nach einigen Jahren durchgeführt: In einer Radikalkur war die soziale Marktwirtschaft in Ostdeutschland eingeführt worden und die staatliche Wirtschaft wurde (bis auf die Teile, die auch Westdeutschland im Staatseigentum besessen hatte, wie etwa die Schieneninfrastruktur) auf dem freien Markt zum Kauf angeboten. Die Käufer stammten nach Erhebungen der Treuhandanstalt zu 80 Prozent aus dem Westteil des wiedervereinigten Deutschland; nur fünf Prozent hingegen aus dem Ostteil. Der Grund lag in einfachen finanztechnischen Umständen: In Westdeutschland war seit Jahrzehnten Privatkapital und Privatwirtschaft nicht wegzudenken, dementsprechend gab es auch Kapitel zur Investition und dem Aufkauf von Betrieben aus der Treuhand. Eine entsprechende Kapitalbindung konnte sich in Ostdeutschland in der Kürze der Zeit aber kaum bilden, und selbst wenn, waren die für eine erfolgreiche Unternehmensführung in einer Marktwirtschaft relevanten Kenntnisse noch nicht so grundlegend verbreitet wie im Westteil Deutschlands. Ein anderes Problem war die Frage, ob es überhaupt möglich sei, die gesamte einstige Staatswirtschaft in Privateigentum zu überführen. Viele Betriebe waren aufwendig mit staatlichen Zuwendungen zu sanieren, und trotzdem fanden sich mitunter kaum Kaufinteressenten. Einige Betriebe waren nicht zu retten, Millionen Arbeitsplätze gingen trotz insgesamt dreistelliger Milliardeninvestitionen verloren. Rund vier Jahrzehnte Planwirtschaft forderten ihren Tribut.
5. Ruf und Rezeption
Der Mensch neigt schon nach kurzer Zeit dazu, die eigene Vergangenheit zu romantisieren und zu idealisieren. Ähnlich war es mit der DDR-Planwirtschaft. Die DDR-Führung stand jahrzehntelang unter enormen Druck, um im direkten Vergleich mit der westdeutschen Wohlstands- und Konsumgesellschaft halbwegs bestehen zu können, und als die Wiedervereinigung schließlich greifbar wurde, wurde sie von der Bevölkerung herbeigesehnt. Als jedoch der Kapitalismus auf die marode DDR-Wirtschaft traf, wandelte sich die Stimmung rasch. Betriebsschließungen, Schuldenberge, Massenentlassungen, Streichungen von Subventionen und Sozialleistungen: Die Erwartungen waren andere gewesen. Menschliche Enttäuschungen und individuelle Dramen spielten sich millionenfach ab, aber diese waren kaum mehr zu umgehen: So zynisch es klingt, aber der Wechsel von der Plan- zur Marktwirtschaft war bei den großen Qualitätsunterschieden der ost- und westdeutschen Volkswirtschaften kaum ohne soziale Härten möglich. Der Staat griff ein, um zu helfen, soziale Härtefälle auszugleichen und Betriebe zu sanieren sowie zu erhalten, aber wie sehr er eingreifen sollte, ob der Privatisierungsprozess mit zusätzlichen Milliarden nicht hätte gestreckt werden können, warum von Investoren keine Bestandsgarantien gefordert wurden, weshalb bei der Privatisierung Schnelligkeit vor Gründlichkeit und Gewinnmaximierung gehen sollte, beschäftigte die Menschen über Jahre – und die entsprechenden Jahrgänge bis heute.
Noch 2020 erhielt eine Umfrage der Bertelsmann Stiftung zur Aussage „Manche Dinge haben in der DDR besser funktioniert und hätten im vereinten Deutschland übernommen werden sollen“ in den alten Bundesländern eine Zustimmungsrate von 48 Prozent – in den neuen Bundesländern aber 84 Prozent. Solche Ergebnisse können mit Blick auf subjektiv-menschliche Schicksale kaum näher verwundern, weder im politischen, noch im wirtschaftlichen Bereich: Sichere Arbeitsplätze, weniger Leistungsdruck, Subventionen von der Ölheizung über die Kinderbetreuung bis hin zum Abendbrot sind den Menschen willkommene Annehmlichkeiten.
Die Frage ist aber, was der Preis dafür war. Und dieser zerstörte die DDR-Wirtschaft schrittweise, weil er nicht zu leisten war. Emotionen spielen bis heute bei der neutralen Betrachtung der Planwirtschaft der DDR eine große Rolle. Gerade die öffentlich nicht selten geäußerte Anklage einer mangelnden Wertschätzung für Lebens- und besonders Arbeitsleistung geht damit einher. Worte wie „Besserwessi“ oder „Jammerossi“ deuten die schwierige öffentliche Diskussion an. Die Hoffnung vieler, dass sich die Emotionen mit einem Generationenwechsel von den unmittelbar Betroffenen der Umbruchsjahre hin zu deren Nachkommen beruhigen würden, erwies sich nur teilweise als zutreffend.
Denn Ostdeutschland kämpft bis heute mit Problemen, die aus der DDR-Planwirtschaft stammen – und weniger aus der Abwicklung ab 1989, wie es häufig behauptet wird. Die langfristigen Schäden, die die Planwirtschaft hinterlassen hat, können nicht in ein paar Jahren behoben werden: Marktfähige Produkte zu entwickeln, sich damit durchzusetzen, Gewinne entsprechend zu reinvestieren, die nötige steuerfinanzierte Infrastruktur durch ökonomischen Erfolg der Regionen sicherzustellen, Umschulungen durchzuführen, neue Generationen auszubilden, Arbeitsabläufe zu modernisieren und zu optimieren, Umweltverschmutzungen zu beseitigen – all dies dauert lange. Und wenn es funktioniert (was nicht immer der Fall ist) schläft in der ganzen Zeit die Konkurrenz nicht.
Alle Staaten des „Ostblocks“ hatten ihre ganz spezifischen Probleme mit dem Umstieg auf die Marktwirtschaft. Nicht alle gingen so schnelle und radikale Wege wie Deutschland – wo es aus Zeitgründen kaum anders möglich schien. Folgen sind aber in allen betreffenden Staaten bis heute spürbar, auch wenn sie allesamt ökonomisch mal mehr, mal weniger erfolgreich sind. Am erfolgreichsten war wenig überraschend der Staat, der schon vor 1989 vorsichtig marktwirtschaftliche Elemente in die eigene Planwirtschaft eindringen ließ: Polen. Am schwersten hatte es – bis heute – Weißrussland, wo lange eine Mischform markt- und planwirtschaftlicher Elemente vorlag.
Am Ende ist es eine politische Entscheidung, ob das Wirtschaftsmodell einer Gesellschaft marktwirtschaftlich oder planwirtschaftlich sein soll – oder ob eine Mischform probiert wird. Politische Entscheidungen sind subjektive Entscheidungen; linke Parteien werden ihre Schmerzgrenze anders ziehen als liberale, liberale ihrerseits anders als rechte. Ein Richtig oder Falsch kann es neutral betrachtet also nicht geben: Marktwirtschaften können sozial sein, Planwirtschaften ökonomisch schwierige Begleiterscheinungen haben. Und da sich Gesellschaften und ihre subjektiven Standpunkte in einer steten Veränderung befinden, wird sich wahrscheinlich auch der Blick der Gesellschaft auf die DDR-Planwirtschaft verändern – zum Positiven oder zum Negativen.
Daniel Meis, hauptberuflicher Historiker, studierte Geschichte, Politikwissenschaft & Rechtswissenschaft an den Universitäten Wuppertal, Hagen & Bonn. In Bonn promovierte er auch von 2020 bis 2022. Seit 2020 lehrt er an der Universität Düsseldorf, ab 2022 zusätzlich auch an den Universitäten Bonn & Stuttgart. Seine Schwerpunktbereiche in Forschung & Lehre sind Biografik, Mediengeschichte, Nationalsozialismus, Regionalgeschichte & Unternehmensgeschichte.
Literatur und Auswahlbibliographie
→ Hoffmann, Dierk (Hrsg.): Wirtschaftspolitik in Deutschland 1917–1990, Band 3. Die zentrale Wirtschaftsverwaltung in der SBZ/DDR. Akteure, Strukturen, Verwaltungspraxis, Berlin/Boston 2016 (fast sämtliche Beiträge des Sammelbands).
→ Kornai, János: Das sozialistische System. Die politische Ökonomie des Kommunismus, Baden-Baden 1995.
→ Materialien der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“, Band II. Machtstrukturen und Entscheidungsmechanismen im SED-Staat und die Frage der Verantwortung, Teilband 2. Herausgegeben vom Deutschen Bundestag, Baden-Baden 1995 (die Beiträge zur Wirtschaftsgeschichte).
→ Materialien der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“, Band II. Machtstrukturen und Entscheidungsmechanismen im SED-Staat und die Frage der Verantwortung, Teilband 4. Herausgegeben vom Deutschen Bundestag, Baden-Baden 1995 (die Beiträge zur Wirtschaftsgeschichte).
→ Meis, Daniel: Alles nach Plan? Die Planwirtschaft der DDR – Konzept, Umsetzung und Scheitern, in: Deutschlandarchiv.de, 2022 (online abrufbar über: www.bpb.de/513381).
→ Steiner, André: Von Plan zu Plan. Eine Wirtschaftsgeschichte der DDR, Bonn 2007.
Anmerkung des Autors: Das große Ganze der DDR-Planwirtschaft ist bislang nur in wenigen Darstellungen berücksichtigt worden, aber insgesamt liegen zahlreiche Studien zu Einzelaspekten wie bestimmten Zeitabschnitten oder Branchen vor.