100 Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges veröffentlicht der Enkel des Infanteristen Franz Mack die Feldpostkarten seines Großvaters im Internet. Christian Mack (30) ist Historiker und hat 2011 an der Uni Bonn seinen Magister in Mittelalterlicher & Neuerer Geschichte absolviert. Auf seinem innovativen Geschichtsblog http://opaskrieg.de veröffentlicht er die Feldpostkarten auf den Tag genau, 100 Jahre nach dem sie verschickt wurden. In seinem Gastbeitrag auf Geschichte-Lernen.net berichtet Christian über seine Motivation, Intention und die Komposition seines ambitionierten Projekts.
Die Grundvorrausetzung, um eine Seite wie opaskrieg.de machen zu können, ist: Nicht ganz normal sein. Denn wenn ich Geschichte im Netz erfolgreich erzählen möchte, muss ich das Netz verstehen und bedienen können. Kurz gesagt: Ich muss ein Digital Nativ und somit relativ jung sein. Gleichzeitig muss ein Interesse an der Vergangenheit bestehen. Genauer gesagt: Ein Interesse an den eigenen Ahnen und deren Geschichte.
Und da ist auch schon der Haken: In der Regel interessieren wir uns erst zu einem recht späten Zeitpunkt im Leben für die eigene Familiengeschichte. Und mit Mitte Fünfzig setzen die meisten nicht unbedingt mal eben ein eigenes Blog oder ein Twitterprofil auf.
Ich bin also „nicht ganz normal“, weil ich mit 30 Lebensjahren als vergleichsweise junger Mensch über (Familien-)Geschichte blogge. Ich bin aber auch aus einem zweiten Grund nicht ganz normal: Mein Opa wurde 1894 geboren. Das ermöglicht es mir, „persönlich“ über eine Epoche zu bloggen, die mehr als ein Leben zurückliegt und zu der die meisten heute keinen Bezug mehr haben. Denn Opa Franz hat seine Feldpostkarten und die einige seiner Brüder und Kameraden aus dem Ersten Weltkrieg aufgehoben und mir als Enkel so zugänglich gemacht.
Zwei wichtige Grundpfeiler, um Geschichte im Web erzählen zu können (Digital Native sein und Quellen besitzen), sind also gegeben. Was bei Opas Krieg allerdings noch hinzukommt, ist ein nicht zu unterschätzender Faktor, nämlich: Ein spannender Überbau oder: Die Magie der 100.
Einhundert Jahre sind die Ereignisse nun her, die Europa und die Welt in den Ersten Weltkrieg geführt haben. Einhundert Jahre ist es her, dass mein Großvater als Infanterist der 5. Königlichen Bayerischen Infanteriedivision im Schützengraben an der französischen Front lag. 100 Jahre ist es her, dass donnerndes Artilleriefeuer, unzählige MG-Kugeln und die zum Teil katastrophalen Hygienebedingungen des Grabenkriegs sein Leben und das einer ganzen Europäischen Generation bedroht haben.
Beitrag des WDR über das Geschichtsblog http://opas-krieg.de
Was fängt man nun also mit diesen „Zutaten“ an? Diese Frage stellte sich, als es auf das Weltkriegsjubiläumsjahr 2014 zuging. Inspiration kam vom Twitter-Projekt @9Nov38. Dort hatten Historiker vor zwei Jahren die Ereignisse der Reichspogromnacht in Echtzeit nachgetwittert – und zwar 75 Jahre danach.
Damals kam auch Opas Album mit den Feldpostkarten aus dem Ersten Weltkrieg wieder in meine Hände und mir war klar, dass ich etwas damit anfangen musste. Denn schon als Kind hatten mich die Feldpostkartenmotive aus dem Krieg in Frankreich fasziniert. Was da zu sehen war: Abgeschossene Flieger, zerstörte Häuser und Städte, Soldaten im Schützengraben mit Karabinern und Pickelhauben und sogar ein paar uralte Fotografien von meinem Opa Franz als Soldat.
Allerdings hatte ich mich bis dato nie mit den Rückseiten der Karten beschäftigt. Schließlich waren die Grüße aus dem Felde allesamt in Kurrentschrift, die ich nicht entziffern konnte. Dieses Problem ließ sich aber unter großer Mithilfe der Familie lösen. Besonders meine Großmutter hatte großen Anteil an der „Übersetzung“ dieser fremden Schrift. Und so kam der Entschluss: Die Gedanken und Grüße meines Opas von der Front öffentlich zu machen und so eine kleine Geschichte des großen Krieges zu erzählen. Die Idee war: Die Feldpost von Franz Mack auf den Tag genau, 100 Jahre nachdem sie abgeschickt wurde, ins Netz zu stellen und so einen ganz individuellen Zugang zum Ersten Weltkrieg zu ermöglichen.
Jeder kann also nun am Schicksal meines Großvaters teilhaben, der stellvertretend für ein Milliardenheer europäischer Soldaten im Ersten Weltkrieg steht. Das Familienarchiv wird öffentlich gemacht und in einen größeren Kontext eingebunden, der das Material auch für Außenstehende interessant macht. Auf opaskrieg.de bedeutet das: Feldpost von Franz Mack, oft banal aber menschlich, neben dem analytisch-kalten Heeresbericht der Obersten Heeresleitung.
Da wir alles wissen, wie „die große Geschichte“ in diesem Falle ausging und das Ergebnis des Ersten Weltkrieges kennen, habe ich mich von vorne herein entschieden, auch die „kleine Gesichte“, also die persönliche Lebensgeschichte meines Großvaters, im Blog und auf den dazu gehörenden Social Media-Plattformen von Anfang an zu erzählen.
Ich nehme also nicht die Spannung, wenn ich sage: Mein Opa hat seinen Einsatz im Ersten Weltkrieg überlebt. Er überlebte die Kämpfe in der Champagne, die Schlacht an der Somme und die Gefechte um Verdun. Er wurde zwei Mal verletzt. Einmal davon so schwer, dass der Krieg für ihn Mitte 1917 (glücklicher Weise) zu Ende war.
Der Umstand „nicht normal“ zu sein, in der Hinsicht, dass ich einen Großvater habe, der im vorletzten Jahrhundert geboren wurde, hat mir die Zeit von vor 100 Jahren näher gebracht. Sie hat mir meinen Opa Franz, den ich nie kennengelernt habe, näher gebracht. Und ich hoffe seine Feldpost bringt anderen jetzt den Ersten Weltkrieg mit all seinen Schrecken näher und führt uns vor Augen, wie wertvoll der Frieden ist, den wir im heutigen Europa genießen.
Alle Informationen und noch viele weitere Feldpostkarten finden Sie unter: http://opaskrieg.de – OpasKrieg.de auf Twitter und auf Facebook
Feldpostkaren: © Christian Mack – Alle Rechte vorbehalten!