Carl Röver – Gauleiter des Gaues Weser-Ems von 1928 bis 1942
Die „eigentliche Frontarbeit der Partei liegt in den Gauen. Er hasse die Gleichheit; jeder Gau solle – je nach der Persönlichkeit seines Führers und den besonderen Problemen der Bevölkerung – ein eigenes Gesicht haben.“ So erinnerte sich der Gauleiter Rudolf Jordan an ein Gespräch mit seinem „Führer“ Adolf Hitler über den Aufgabenbereich seiner Gauleiter.
Und in der Tat hat die Forschung die Individualität und Heterogenität der Gauleiter und Gaue nachweisen können. Hitler stellte aber nicht nur Anforderungen an seine „Führer der Provinz“ – er gab ihnen auch die Möglichkeit zur Aufgabenerfüllung an die Hand. Die Machtfülle der Gauleiter ist deshalb ein zentrales Merkmal des Nationalsozialismus. Nur wer die Gauleiter ins Große Ganze einordnen kann, ist auch in der Lage, das Funktionieren des Nationalsozialismus zu verstehen.
1. Bedeutung und Stellung der Gauleiter im Gesamtsystem als „Mittelinstanz“
Die Gauleiter im Gesamtsystem des Nationalsozialismus zu verorten, ist ebenso schwierig wie kompliziert. Gerade daran kann gesehen werden, wie verworren das „geordnete Chaos“ der Kompetenzen der Nationalsozialisten aussah. Die Gauleiter jedenfalls waren eine recht spezielle Personengruppe. Ihre Stellung war als solche einzigartig und von außen kaum anfechtbar. Aber eines nach dem anderen.
Zuerst einmal stellt sich die Frage, was ein „Gauleiter“ überhaupt war. Der Begriff „Gau“ hatte eine lange Vorgeschichte, die von vielen völkischen Gruppierungen der Weimarer Republik genutzt wurde. Das Wort lehnte sich an die frühmittelalterlichen Landschaften an, die im 8./9. Jahrhundert Gaue genannt wurden. Die frühere Geschichtswissenschaft ging davon aus, dass Gaue auch bei den germanischen Stämmen schon existierten. Es handelte sich bei der Verwendung des Begriffs durch die Völkischen also deutlich um einen Rückgriff auf alte, vermeintlich germanische Vorbilder. Das Wort „Leiter“ hingegen scheint wesentlich leichter erklärbar zu sein. Das täuscht aber. Viele der späteren Gauleiter trugen als frühe Amtsbezeichnung die Wortendung „-führer“. Dem stand aber Hitlers Anspruch entgegen, in der Parteiorganisation der einzige „Führer“ zu sein. Es dauerte zwar ein paar Jahre, aber sein Anspruch setzte sich schließlich durch.
Begrifflich war ein Gauleiter also das Oberhaupt einer Landschaft oder einer Region. Formal betrachtet war er Vorsitzender des Parteiverbands des Gaues. Denn die NSDAP besaß eine Reichs-, eine Gau-, gelegentlich eine Bezirks-, eine Kreis-, eine Ortsgruppen-, eine Zellen- und eine Blockebene. Diese Ebenen glichen sich aber nur teilweise. Die Reichsebene war stark auf Hitler als „Führer“ (und damit Parteivorsitzenden) konzentriert. Sie hatte diverse Reichsleiter, die für einen eng bestimmten Sachbereich reichsweit zuständig waren. Die Reichsleiter waren aber nur eingeschränkte Machtfaktoren. Durch ihren Kompetenzzuschnitt für einen konkreten Politikbereich waren sie gelegentlich in diesem mächtig, mussten aber selbst in ihm oftmals mit den Gauen zusammenarbeiten. So gab es beispielsweise einen Reichsstudentenführer, der den Studierenden vorstand. Aber auf deren Zusammenschlüsse in Form der Hochschulgruppen hatte er nur geringen Einfluss, da diese den jeweiligen Parteikreisen und damit den Kreisleitern unterstanden.
Während die Reichsleiter also nur einen kleinen Politikbereich bearbeiteten, waren die Gauleiter faktisch für alles im ihrem Gau zuständig. Und vor allem: Sie unterstanden nicht irgendwelchen Reichsleitern, sondern ausschließlich und ausdrücklich Hitler. Niemand durfte ihnen Befehle erteilen, außer der „Führer“ selbst. Den Gauleitern unterstanden dahingehend in gleicher Weise die Kreisleiter, denen die Ortsgruppenleiter und so weiter. Aufgabe der Gauleiter war jedenfalls das, was die Nationalsozialisten unter „Menschenführung“ verstanden. Sie sollten die „Parteigenossen“ führen, die „Volksgenossen“ erziehen, die Macht für die Partei erringen beziehungsweise absichern, nationalsozialistische Politik durchführen und beaufsichtigen sowie vieles weitere. Wesentliche Hilfe kam vonseiten der Reichsebene nur wenig. Finanziell, organisatorisch und personell waren die Gaue in der Regel völlig auf sich allein gestellt. Was sich also nach großer Macht für die Gauleiter anhört, bedeutete auch immer große Verantwortung für sie. Nicht alle Gauleiter konnten hierbei Hitlers Erwartungen erfüllen.
Grundsätzlich ließ Hitler den Gauleitern freie Hand in ihrer Amtsführung. Nur in Notfällen schritt er ein – und das auch nur sehr widerwillig. Um das zu verstehen, ist das nationalsozialistische Bild einer Führungskraft zu bedenken. Der Nationalsozialismus lebte das „Führerprinzip“ und strebte dessen vollkommene Umsetzung in allen Bereichen an. Das bedeutete eine straffe, autoritäre Gliederung von oben nach unten. Wer mit der Macht und der Verantwortung als sogenannter „Politischer Leiter“ nicht umgehen konnte, war hierzu aus Sicht des Nationalsozialismus einfach nicht aus dem richtigen Holz geschnitzt. Ein höherer „Politischer Leiter“ sollte nach dieser Logik eigentlich gar nicht in Vorgänge eines untergebenen „Politischen Leiters“ eingreifen müssen. Wenn er aber dazu gezwungen war, hatte sich der untergebene „Politische Leiter“ als inkompetent erwiesen – und wurde nicht selten verwarnt, versetzt oder gar gleich abgesetzt.
Zur Ausübung ihrer Amtstätigkeit hatten die Gauleiter mit der Zeit immer größere Verwaltungsapparate aufgebaut. In den ersten Jahren der Partei zur Zeit der Weimarer Republik waren die Gauleitungen meistens sehr einfach gehalten. Zumeist bestanden sie aus dem Gauleiter, seinem Stellvertreter und Geschäftsführer sowie einigen Ehrenamtlern. Erst mit dem Durchbruch der Partei bei Wahlen und dem Mitgliederzustrom ab 1929 professionalisierten sich die Gaue. Bis zur reichsweiten „Machtergreifung“ 1933 gelang es allen Gauen, Gaustäbe aufzubauen, hauptamtliche Mitarbeiter vom Gauamtsleiter für Kommunalpolitik bis hin zur Sekretärin zu etablieren, und mit Gaupresse, SA-Truppen, Vorträgen und wöchentlichen Veranstaltungen überall vor Ort ein engmaschiges Netz zu knüpfen. Auch das war vollkommen in der Logik der nationalsozialistischen Idee einer innigen, solidarischen „Volksgemeinschaft“, in der jeder betreut und jeder gefordert wurde – außer natürlich jenen, die nicht zu dieser „Volksgemeinschaft“ gehören sollten.
Ab der reichsweiten „Machtergreifung“ besaßen die Gauleiter auch Zugriff auf den Staat, in einigen Ländern gelangten die Nationalsozialisten freilich schon bei demokratischen Wahlen während der Weimarer Republik an die Spitze. Der Staat als solcher wurde nach der reichsweiten „Machtergreifung“ nie abgeschafft, aber es bildeten sich faktisch zwei eigenständige Machtsphären heraus: Partei und Staat nebeneinander. Klares Übergewicht lag bei der Partei. Sie herrschte auf direktem wie indirektem Wege im Staat: Direkt über Staatsämter in Personalunionen oder auch Gesetzesänderungen zur Mitarbeit der Partei im Staat; indirekt über „Gleichschaltungen“ oder notfalls auch rabiaten Methoden.
Aus Sicht der Gauleiter funktionierte dieses System sehr gut. Es gab Gauleiter, die keine Personalunionen im Staat einnahmen, und die trotzdem die unangefochtene Person der staatlichen Sphäre innerhalb ihres Gauterritoriums waren. Sollte auf staatlicher Seite im Gebiet des Gaues jemand widerspenstig werden, gab es genug Möglichkeiten, ihn wieder „auf Linie“ zu bringen oder einfach abzusetzen. Andere Gauleiter wurden in Personalunion Reichsstatthalter. Die Reichsstatthalter waren während der „Machtergreifung“ als Institution eigens geschaffen worden und fast ausschließlich auf die Gauleiter übergegangen. Sie schwebten institutionell über einer bestimmten Landesregierung und konnte jederzeit in diese eingreifen, sie ersetzen, ihr Anweisungen geben, an ihr vorbeiregieren und vieles weitere. Ähnliches galt für die Oberpräsidenten der preußischen Provinzen, die ungefähr so groß wie die anderen Länder des Reiches waren. Zudem gab es noch einige Gauleiter, die nicht nur Reichsstatthalter waren, sondern auch noch Landesregierungschef. Statt das Tagesgeschäft also jemanden zu überlassen, und sich selbst um das große Ganze zu kümmern, regierten einige auch selbst und führten die Landesregierung an.
Weitere Funktionen kamen hinzu. 1939 beispielsweise wurden einige, 1942 dann alle Gauleiter Reichsverteidigungskommissar. Im Kriegsfalle waren sie für die zivile Reichsverteidigung zuständig: Barrikadenbau, Panzersperren, Evakuierungen, Trümmerbeseitigung und weiteres. Hierzu bedienten sie sich staatlicher Behörden. Zudem waren die Gauleiter für Hitler ein Personalreservoir. Sie waren mit die treuesten Mitstreiter, die er hatte: Sie waren mit ihm durch die Zeit der Weimarer Republik gegangen, hatten sich mit Kommunisten (auch körperlich) auseinandergesetzt, saßen gelegentlich in Haft und hatten berufliche Zurücksetzung zu erleiden – alles aus Idealismus und der Vision der Umsetzung des Nationalsozialismus. Solche Personen waren dementsprechend treu. Zumal Hitler nicht irgendein Parteivorsitzender war, sondern der Führerkult enorm gepflegt wurde.
Das blieb nicht ohne Folgen, zumal Hitler über ein gewisses mitreißendes Charisma verfügte. So entstand auch für jeden der Eindruck, er sei Hitler besonders nahe, persönlich der einzige, der ihn verstehe, und Hitler sei vollkommen eigener Meinung über alles mögliche. Neben diesen Gründen gab es noch äußerst pragmatische für den Rückgriff auf die Gauleiter für „Spezialaufgaben“. Denn die Gauleiter waren wie bereits erwähnt nur Hitler unterstellt. Damit waren sie jedoch auch vollkommen von ihm abhängig. Entsprechend Mühe gaben sie sich, Hitlers Willen, oder dem, was sie dafür hielten, umzusetzen. Der einzelne Gauleiter war rundum vom seinem „Führer“ abhängig.
Hitler hingegen ihn schmerzte der Verlust eines Gauleiters, aber sein System, seine Herrschaft und seine eigene Stellung hingen nicht von einem einzelnen Gauleiter ab. Hitler brauchte einen einzelnen Gauleiter nicht so sehr, wie dieser seinen „Führer“ brauchte, um in Rang und Stellung zu bleiben. Solche Personen waren also wegen des Machtgefälles im Ernstfall leichter zu ersetzen. Hinzu kamen noch ganz praktische Gründe für die Nutzung als Personalreservoir: Die Gauleiter hatten sich in Amtsführung bewiesen, aber für vieles fehlte im „Dritten Reich“ nach der „Machtergreifung“ 1933 schlicht qualifiziertes, treues und abhängiges Personal. Hitler war beispielsweise höchst unerfreut darüber, für die Reichskommissare in besetzten Gebieten auf Gauleiter zurückzugreifen. Aber er sah keine Alternative, wem er diese Aufgabe sonst anvertrauen konnte.
Was sich alles sehr theoretisch anhört, soll nachfolgend durch Erklärung des individuellen Faktors der Gauleiterherrschaft anschaulich erklärt werden. Exemplarisch wird dabei immer wieder auf einzelne Gauleiter eingegangen, um zu zeigen, um was für eine Gruppe und Institution es sich genau handelte.
2. Individuelle und regionale Herrschaftssysteme
Jeder der zeitweise bis zu 44 gleichzeitig herrschenden Gauleiter herrschte individuell. Das ergab sich aus mehreren Gründen. Hitler war überzeugt, dass jeder Gau als Landschaft oder Region eine eigene, spezielle Note habe. Die Schlesier waren kulturell anders als die Schwaben, die Kölner anders als die Berliner. Jedem Gauleiter musste also die Möglichkeit gegeben sein, ganz eigenständig und individuell auf die Situation in seinem Gau einzugehen. Wie das zu machen sei, könne er selbst aus der Ferne nicht entscheiden – das müsse im Gau geschehen. Zudem war die Machtfülle der Gauleiter enorm. Deshalb charakterisiert sie die Forschung auch immer wieder als „Führer der Provinz“, „politische Generale“, „Gaufürsten“, „Vizekönige“ und weiteres. Diese Begriffe sind nicht zufällig gewählt. Insofern führte die große Machtfülle zusammen mit der freien Hand durch die einzige Person, die groß eingreifen konnte (nämlich Hitler) dazu, dass jeder Gau anders beherrscht wurde.
Wie individuell das sein konnte, hat die historische Forschung inzwischen gezeigt. Es sind noch lange nicht alle Gauleiter und Gaue erforscht, aber die Forschung macht seit den 1990ern große Schritte, das Gesamtbild besser zu erfassen. Und mit jedem weiteren Gauleiter und Gau, der erforscht wird, erhellt sich das Bild der NS-Herrschaft im jeweiligen Gau und zugleich das der reichsweiten Herrschaft. Denn die Gaue waren nicht isolierte Einheiten, sondern besaßen immer auch Rückwirkungen auf andere Gaue und die Politik des Reiches. Das beste Beispiel sind die Gaswagen aus Arthur Greisers Warthegau. Ab 1939 lokal erstmals bei den Morden an Juden eingesetzt, griff der Gauleiter sie auf und etablierte sie gauweit. Die verantwortlichen Planer für die „Shoa“ aus Berlin kamen später auf dieses von Greiser erprobte Instrument des Massenmordes zurück, weil Erschießungen zu lange dauerten, zu viel Material verschlangen und vor allem für die Schießenden seelisch zu belastend waren.
2.1. Die „’nur’-Gauleiter“
Doch auch hier wieder eines nach dem anderen. Grob unterteilen lassen sich die Gauleiter in drei Gruppen mit fließenden Übergängen und einigen Überlappungen. Bis zur reichsweiten „Machtergreifung“ 1933 gab es zwar auch schon starke Unterschiede zwischen den sowieso sehr verschiedenartigen Gauleitern. Aber mit Beginn des „Dritten Reiches“ 1933 wurden diese Unterschiede noch sehr viel deutlicher. Vereinfacht gesprochen differenzierten sich die Gauleiter nunmehr in mächtige und ganz besonders mächtige Personen aus. Waren sie bis 1933 fast durchweg die zweite Reihe der NS-Führung, wurden die Unterschiede zwischen ihnen jetzt so groß, dass einige eher einer neuen, dritten Reihe zuzuordnen wären. Doch so dramatisch sich das anhören mag: Die Gauleiter, die die dritte Reihe der NS-Führung stellten, waren in ihrem Gau immer noch die unanfechtbare Spitze.
Diese Gauleiter der dritten Führungsreihe waren im Wesentlichen die „’nur’-Gauleiter“. Es handelte sich dabei um Gauleiter, die neben den obligatorischen kleineren Ämtern und Funktionen wie Abgeordnetenmandaten lediglich ein hohes, einflussreiches Amt besaßen: Das des Gauleiters. Mehr brauchten sie eigentlich auch nicht, um uneingeschränkt herrschen zu können. Die „’nur’-Gauleiter“ standen sowieso an der Spitze ihres Parteigaues. In der Partei waren sie auf Gauebene also unangefochten. Auf staatlicher Seite hingegen besaßen sie keine höhere Position.
Der Gauleiter von Köln-Aachen, Josef Grohé, war beispielsweise in seiner „Gauhauptstadt“ Köln formal-nominell betrachtet auf staatlicher Seite nur eingeschränkt wichtig. Stadtoberhaupt waren die Kölner Oberbürgermeister. Aber für alle war deutlich, wer der wahre Herrscher war: Der Gauleiter.
Bei Grohé kann das gut beobachtet werden. Während der „Machtergreifung“ hatte er den amtierenden Oberbürgermeister Konrad Adenauer einfach vom Rathausbalkon für abgesetzt erklärt und ohne rechtliche Grundlage einen untergebenen „Parteigenossen“ eingesetzt. Dieses Vorgehen wurde erst im Nachhinein legalisiert.
Das inoffizielle Machtgefälle zwischen Gauleiter und Oberbürgermeister wurde 1934 sogar noch gesetzlich fixiert: Nunmehr durfte ein sogenannter „Beauftragter der NSDAP“ (in der Regel der Gauleiter oder ein von ihm bestimmter Kreisleiter) das Hauptverwaltungspersonal wie etwa den Oberbürgermeister einfach absetzen, Hauptsatzungen von Kommunen redigieren, und bei der Auswahl eines neuen Amtsinhabers eine Vorauswahl treffen, über die er dann mit lokalen NSDAP-Funktionären endgültig entschied.
Bei Grohé in Köln führte das dazu, dass der erste von ihm eingesetzte Oberbürgermeister 1936 wegen innerparteilicher Unstimmigkeiten zum Rücktritt gezwungen wurde. Grohé ernannte dann einen kommissarischen Amtsinhaber aus den Reihen seiner Mitarbeiter in der Gauleitung. Neuer regulärer Amtsinhaber wurde dann ein anderes Mitglied von Grohés Gauleitung. Als dieser 1940 verstarb, griff Grohé wieder ein und setzte erneut kommissarisch jemanden ein. Neuer regulärer Oberbürgermeister wurde dann schon wieder ein Mitarbeiter aus Grohés engstem Kreise. Als dieser 1944 verstarb, setzte Grohé nur noch kommissarisch jemanden aus seinem Kreise ein, bis der Krieg endete. Formal war in Köln also der Oberbürgermeister die Spitze. Aber der Gauleiter konnte ihn nach Gutdünken ersetzen, Anweisungen geben oder auch ihm helfen, diverse Vorhaben durchzubringen.
Grohé war im Grunde genommen „nur“ bis September 1944, also sechs Monate vor Fall seiner „Gauhauptstadt“ und acht Monate vor Kriegsende, ein „’nur’-Gauleiter“. Denn im September wurde er Reichskommissar für Belgien und Nordfrankreich und sollte hierbei Belgien für die Zerlegung in Reichsgaue und ihre Annexion vorbereiten. Der Kriegsverlauf verhinderte das.
Es gab lediglich ein paar „’nur’-Gauleiter“. Das Korps der Gauleiter war durch gelegentliche Todesfälle, Personalwechsel und die territoriale Expansion des Reiches ab 1935 stets am wachsen und in Veränderung; es war nie statisch. Stand 1935 gab es beispielsweise unter den zu jener Zeit 30 Gauleitern acht, die neben ihrem Parteiamt kein höheres Staatsamt bekleideten. Genauso wie Grohé waren sie aber trotzdem die klare Nummer Eins in ihrem Gaugebiet – auch gegenüber den dortigen staatlichen Institutionen.
2.2. Einige mittelmächtige Staatsfunktionen
Die anderen Gauleiter, die insgesamt weiter zur zweiten Führungsreihe des Nationalsozialismus zählten, lassen sich grob in verschiedene Gruppen unterteilen. Es gab hierbei mehrere Gauleiter, die hohe Staatsfunktionen in Personunion ausübten, darunter beispielsweise die Leitung eines Landesministeriums oder eines Regierungsbezirks.
Karl Wahl etwa, der Gauleiter des Gaues Schwaben, wurde 1934 Regierungspräsident des Regierungsbezirks Schwaben. Er hätte zwar auch ausschließlich durch seine Gauleiterfunktion herrschen können, und ein Regierungspräsident wäre seinem Willen nachgekommen, aber die persönliche Tätigkeit als Regierungspräsident sagte ihm aus verschiedenen Gründen zu. Jedenfalls musste er nun keine Umwege mehr über die staatliche Verwaltung nehmen, wenn etwas nicht in den Kompetenzbereich der Partei fiel, denn nunmehr konnte er solches in Personalunion selbst sofort ausführen.
Die Stand 1935 zwei Regierungspräsidenten, der eine Landesminister und der eine Reichskommissar für das Saargebiet waren allesamt Sonderfälle. Ein Gauleiter als Regierungspräsident oder Landesminister hätte sich keinem Ministerpräsidenten untergeordnet, wenn dieser nicht weit über ihm in der NS-Hierarchie gestanden hätte. Und da es dort eigentlich kaum jemanden gab, lag es an Hitler, den Personalunionen seiner Gauleiter weitere Freiheiten zu geben, sodass diese zufrieden waren.
Aus solchen Sonderfällen erklärt sich etwa Wahls Amt als Regierungspräsident, in dem er theoretisch der bayerischen Landesregierung unterstellt war, aber faktisch eigenständig handelte. Wahls persönlicher Hauptkontrahent war der benachbarte Gauleiter von München-Oberbayern, Adolf Wagner. Wagner versuchte mehrfach, den Gau Schwaben zu schlucken.
2.3. Die staatlichen Reichsstatthalter als Pendant zu den parteiamtlichen Gauleitern
Die zweifelsohne einflussreichsten Gauleiter waren aber jene, die Reichsstatthalter waren. Die Reichsstatthalter waren als Amt während der „Machtergreifung“ eingerichtet worden. Sie schwebten faktisch über einer bestimmten Landesregierung, durften in diese eingreifen, sie ersetzen und vieles weiteres. Zwar waren die Landesregierungen ohnehin alle NSDAP-dominiert, aber durch die Reichsstatthalter, die wie die Gauleiter ausschließlich Hitler unterstanden, behielt am Ende Hitler als „Führer“ einen direkten, konkurrenzlosen Draht in jede Landesverwaltung hinein. Für die Reichsstatthalter galt im Grunde das gleiche wie für die Gauleiter: Niemand außer Hitler konnte ihnen gefährlich werden. Im Gegenteil: Hitler ließ ihnen völlig freie Hand. Das betraf selbst Fälle von aufbegehrenden Landesregierungschefs.
Ein Beispiel hierfür ist Carl Röver. Röver war Gauleiter des Gaues Weser-Ems, der die Länder Oldenburg und Bremen sowie zwei preußische Regierungsbezirke umfasste. Für Oldenburg und Bremen war er zugleich Reichsstatthalter. Als der von ihm eingesetzte bremische Bürgermeister 1934 versuchte, bei der Reichsspitze die Herauslösung Bremens aus Rövers Gau zu erreichen, setzte Röver ihn kurzerhand ab und ersetzte ihn durch einen loyaleren Bürgermeister.
Rövers Gau hatte eine der kompliziertesten Gaustrukturen: Weser-Ems bestand aus dem ländlichen Staat Oldenburg, dem städtischen Staat Bremen und zwei ländlichen Regierungsbezirken der preußischen Provinz Hannover. Zudem unterstanden ihm als Reichsstatthalter die oldenburgischen Exklaven, die aber faktisch von den dortigen Gauleitern beherrscht wurden.
Für alle Länder des Reiches wurden Reichsstatthalter bestellt. Da die Länder und Gaue keine identischen Grenzen aufwiesen, gab es hierbei einige knifflige Probleme, die aber mal mehr, mal weniger gut gelöst werden konnten.
Meistens wurde der territorial einschlägige Gauleiter Reichsstatthalter. In Fällen, wo Gau- und Landesgrenzen übereinstimmten, wie Hamburg oder Baden, war das einfach. Wenn ein Gau mehrere Länder umfasste, wie beim Gau Westfalen-Süd oder Mecklenburg, wurde der Gauleiter einfach Reichsstatthalter für mehrere Länder. Schwierig waren aber Länder, die mehrere Gaue umfassten. Im Wesentlichen betraf das Bayern mit sechs Gauen und Preußen mit zeitweise 21 Gauen. In Bayern hätte kein Gauleiter einen anderen Gauleiter als Reichsstatthalter geduldet.
Daher wurde ein alter Vertrauer Hitlers Reichsstatthalter: Franz Ritter von Epp war ebenfalls NSDAP-Politiker, besaß aber keine eigene Hausmacht in Form eines Gaues; auch sein Reichsleiteramt, das sich auf koloniale Fragen konzentrierte, konnte das nicht ansatzweise ersetzen. Insofern musste er als relativ schwacher Reichsstatthalter den bayerischen Gauleitern recht viel Spielraum lassen.
Der Gauleiter der exterritorialen bayerischen Pfalz, Josef Bürckel, war räumlich schon weit weg vom bayerischen Kerngebiet und wollte sich von den Bayern ohnehin nichts sagen lassen. Der Gauleiter von Schwaben, Karl Wahl, kochte als schwäbischer Regierungspräsident sein eigenes Süppchen. Adolf Wagner, Gauleiter von München-Oberbayern, hatte durch die Sonderrolle Münchens als eine Art Hauptstadt der Gesamtpartei sowieso einen großen Spielraum gegenüber der bayerischen Landesregierung. Julius Streicher, Gauleiter von Franken, war schon Anfang der 1920er in Franken führender Nationalsozialist, und hatte sich im Laufe der Zeit so festgesetzt und so viele inoffizielle Freiräume gesichert, dass ihm eine bayerische NS-Regierung kaum gefährlich werden konnte. Die Gaue Bayerische Ostmark unter Hans Schemm und Mainfranken unter Otto Hellmuth profitierten von Konkurrenzen zwischen Gauen, Regierungsbezirken, Landesregierungen und Personalunionen, sodass diese relativ frei vom Zugriff des Reichsstatthalters blieben. Auch in der dem Reichsstatthalter theoretisch unterstehenden Landesregierung machten sich die Gauleiter breit. Bis 1942 gab es unter den meistens sieben Minister zählenden Regierung zwei Gauleiter, ab 1942 wurden fast alle Ministerien auf zwei zusammengelegt, die beide von Gauleitern geleitet wurden.
In Preußen hingegen wurde die Problematik von einem Land und vielen Gauen anders gelöst. Reichsstatthalter wurde dort einfach Hitler, der die Amtsführung seinem designierten Nachfolger Hermann Göring überließ. Göring war durch Hitlers Nachfolgeregelung und die Ballung etlicher wichtiger Kompetenzen sowie Ämter eine der wenigen Personen, die über den Gauleitern standen. Göring wollte aber ebenso wenig mit den Gauleitern streiten und vereinfachte sich die Situation noch mehr als Hitler. Formal behielt er die Kompetenzen des Reichsstatthalters, war selbst aber in Personalunion mit erweiterten Vollmachten auch Ministerpräsident von Preußen.
Das föderal in Provinzen gegliederte Preußen hatte an der Spitze jeder Provinz einen Oberpräsidenten. Das war weit mehr als ein Regierungspräsident, aber weit weniger als ein Reichsstatthalter. Durch Gesetzesänderungen wurde die staatsrechtliche Struktur der Provinzen nunmehr so verändert, dass sie eine Art „Staat im Kleinen“ darstellten. Die Oberpräsidenten erhielten beispielsweise einen verstärkten Freiraum und einen großen Stab, der in etwa wie eine Ersatzregierung wirkte. Zu Beginn des „Dritten Reiches“ 1933 wurden auch einige verbündete Rechtsradikale und -konservative von Stahlhelm und DNVP sowie Nationalsozialisten ohne Gau Oberpräsident, aber deren Macht wurde in der Regel genauso von den Gauleitern ausgehöhlt, wie es beim bayerischen Reichsstatthalter war. Nach und nach wurden sie dann durch territorial passende Gauleiter ersetzt, wobei Konflikte blieben.
Der Gauleiter von Süd-Hannover-Braunschweig, Hartmann Lauterbacher, wurde beispielsweise 1941 Oberpräsident der Provinz Hannover. Auf deren Boden existierten aber auch noch Teile der Gaue Weser-Ems von Carl Röver, Ost-Hannover von Otto Telschow und Westfalen-Nord von Alfred Meyer. In ihren Gauen konnten sie wie „’nur’-Gauleiter“ die staatliche Macht des Oberpräsidenten untergraben. In dem Bereich aber, in dem sich Lauterbachers Gau und Provinz deckten, herrschte er direkt über Partei und Staat.
Wäre das Ende des „Dritten Reiches“ 1945 nicht gewesen, wäre Lauterbacher mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit noch eine selbst für Gauleiterverhältnisse sehr erfolgreiche Karriere beschieden gewesen. Er war nicht nur einer der jüngsten Mitglieder der NS-Führung, sondern wurde auch noch von vielen der älteren Mitglieder protegiert. Unter den Gauleitern wäre er sicherlich eines Tages in die vorderste Gruppe vorgestoßen.
Selbst unter den Gauleitern, die Reichsstatthalter (und Oberpräsident) waren, ragten aber einige besonders hervor. Dies waren Gauleiter, die als Reichsstatthalter auch die Funktionen des Landesregierungschefs übernahmen. Theoretisch war das nicht nötig, denn wenn jemand auf staatlicher Seite für den Gauleiter unbequem wurde, konnte er ihn einfach ersetzen. Aber einige Gauleiter wollten auch gerne selbst das Tagesgeschäft der Regierungsführung übernehmen. Im sogenannten „Altreich“, also dem Bereich des Reiches, das schon vor 1937 bestand, waren die alten Strukturen von Parteigauen und Ländern formal beibehalten worden. Wie erklärt, wurden dabei einfach Gauleiter in Form von Reichsstatthaltern als schwebende Instanz über den Ländern installiert. Selbst zugleich die Landesregierung zu führen, war hierbei eigentlich nicht vorgesehen gewesen.
Hitler wollte (wie viele andere, selbst schon zu Zeiten des Kaiserreiches) in einer groß angelegten „Reichsreform“ die Länder umgestalten. Statt aber dabei nur an territoriale Grenzen und Kompetenzen zu denken, wollten die Nationalsozialisten auch eine formale Einheit von Partei und Staat schaffen. Da hierfür vor einem erfolgreichen Kriegsausgang die Möglichkeiten fehlten (schließlich sollte niemandem auf die Füße getreten, die Verwaltung nicht mit Umstrukturierungen zusätzlich belastet sowie die verbündeten Rechtskonservativen durch radikale Maßnahmen verschreckt werden), wurde die Reichsreform von Hitler aufgeschoben – genauso wie die Frage, ob ein Gauleiter und Reichsstatthalter nicht doch Ministerpräsident werden solle. Schlussendlich gab er in der Frage nach und ließ mehrere solcher Fälle zu.
Dazu gehörte beispielsweise Martin Mutschmann, der Gauleiter von Sachsen. Mutschmann hatte schon länger einen Machtkampf mit seinem Ministerpräsidenten ausgetragen, der 1934 erfolgreich ausgegangen war. Anfang 1935 übernahm Mutschmann einfach alle drei Ämter parallel und etablierte langfristig eine Art Gauregierung, bei der sein innerster Kreis an der Gauspitze die Staatsspitze beherrschte. Mutschmann war einer der wenigen Gauleiter, die Reichsstatthalter und Ministerpräsident zugleich waren. Sein Herrschaftssystem wurde von der Forschung als „Gauregierung“ charakterisiert.
Außerhalb des „Altreiches“ war die Sache anders. Dort musste keine Rücksicht auf Verbündete oder übernommene Institutionen genommen werden, zumal bei jedem der Fälle der Erweiterung des „Altreiches“ mit dem Krieg gerechnet werden musste beziehungsweise dieser schon vorlag. Kriegsvorbereitungen waren also ohnehin getroffen worden. Teilweise wurden Gebiete außerhalb des „Altreiches“ einfach den im „Altreich“ bestehenden Territorien zugeteilt. So war es beispielsweise im Gau Ostpreußen unter Erich Koch, dem 1939 das Memelgebiet zugeschlagen wurde.
Teilweise wurden in Form der „Reichsgaue“ aber völlig neue Formen einer staatsrechtlichen Konstitution geschaffen. Das war beispielsweise bei den österreichischen Gauen der Fall. Dort wurden die Länder und Parteigaue in einer Übergangsphase von 1938 bis 1940 aufgelöst und der Großteil der Länder- und Parteigaukompetenzen auf einen neugeschaffenen Reichsgau übertragen. In diesen gab es dann aber keine Ministerpräsidenten mehr, sondern nur noch Gauleiter, die zugleich Reichsstatthalter mit Ministerpräsidentenfunktion waren. Erstmals erprobt wurde dieses Konzept von Josef Bürckel im Saarland bei dessen Wiederangliederung 1935, etwas umfangreicher dann von Karl Kaufmann in Hamburg 1937/1938. Fachleute aus beiden Gauen berieten die Verwaltungskräfte in den neu zu gründenden Reichsgauen.
2.4. CdZ und Oberste Kommissare
Als wäre das alles nicht kompliziert genug, gab es auch noch diverse Grenzgebiete, die erobert und faktisch an das Reich angegliedert, aber offiziell nicht annektiert wurden. Insgesamt wurden im Krieg beispielsweise sechs „CdZ-Gebiete“ geschaffen, die bis zum Ende solche blieben. „CdZ“ hieß „Chef der Zivilverwaltung“. In diesen Gebieten wurde die Zivilverwaltung von einem benachbarten Gauleiter ausgeübt, der in der Regel das Gebiet inoffziell annektierte.
Gustav Simon beispielsweise, der Gauleiter von Koblenz-Trier, wurde 1940 CdZ von Luxemburg. Deutsches Recht wurde eingeführt, der Gebrauch des Französischen verboten und der Gau Koblenz-Trier um Luxemburg zum Gau Moselland erweitert. Staatsrechtlich und offiziell wurde Luxemburg also nicht per Gesetz, Verordnung oder sonstigem Rechtsinstrument annektiert, aber faktisch war es das: Es fehlte nur die offizielle Verlautbarung einer Annexion.
Wohin die Reise gehen sollte, war aber relativ klar, denn es hatte schon vor den sechs im Krieg geschaffenen CdZ-Gebieten solche gegeben. Nur ansatzweise vergleichbar und strukturell stark verschieden waren die im Sudetenland sowie im Protektorat Böhmen und Mähren. Grundsätzlich gleich waren aber die beiden auf polnischem Boden 1939 geschaffenen CdZ-Gebiete. Ebenfalls zwei Monate später wurde das CdZ-Gebiet Posen in den Reichsgau Posen umgewandelt. 1940 wurde er in Wartheland umbenannt und (offenbar wegen des Zungenbrechers „Gau Wartheland“) zumeist Warthegau genannt.
Ursprünglich war Simons Gau Koblenz-Trier aus dem gleichnamigen Bezirk des früheren Gaues Rheinland(-Süd) hervorgegangen. Der andere Bezirk wurde zum eigenständigen Gau Köln-Aachen. Simon erweiterte seinen recht künstlich geschnittenen Gau mit der Einverleibung Luxemburgs zum Gau Moselland, der wie im Falle Wartheland-Warthegau auch gelegentlich Moselgau genannt wurde.
Die anderen inoffiziell angegliederten Grenzgebiete neben den CdZ-Gebieten waren die zwei „Operationszonen“. Nach Italiens versuchtem Seitenwechsel 1943 wurde die Zivilverwaltung von zwei norditalienischen Territorien mit erheblichem deutschen Siedlungsanteil jeweils benachbarten Gauleitern als „Obersten Kommissaren“ unterstellt. Der Unterschied zum CdZ-Gebiet lag im Wesentlichen darin, dass wegen der Frontnähe Kriegsrecht herrschte und in der angespannten Kriegssituation sowie der komplizierten neuen deutsch-italienischen Konstellation die Verwaltung nicht komplett „germanisiert“ wurde, sondern Italiener in Funktionen belassen werden konnten. Langfristig war aber deutlich, was angestrebt war, so etwa in der Operationszone Alpenvorland unter dem Gauleiter von Tirol-Vorarlberg, Franz Hofer: Das Alpenvorland war im Wesentlichen ein gering vergrößertes Südtirol. Das Alpenvorland war für Hofer eine optimale Ergänzung seines Gaues, bildete der Gau Tirol-Vorarlberg doch vor allem Nordtirol ab und das Alpenvorland primär Südtirol.
2.5. Reichsminister, Staatssekretäre und Reichskommissare
Eine andere Gruppe an besonders einflussreichen Gauleitern waren jene, die machtvolle Funktionen auf Reichsebene übernahmen. Ein Reichsleiteramt reichte wie erläutert dazu nicht aus. Treffender waren Funktionen von Reichsministerien oder Reichskommissariaten. Joseph Goebbels beispielsweise war Gauleiter von Berlin, Reichsleiter für Propaganda und Reichsminister für Propaganda. Letzteres machte ihn der Nachwelt besonders bekannt – und im „Dritten Reich“ viel mächtiger als die meisten Gauleiter.
Aber auch die Reichskommissare waren von spezieller Bedeutung für die Machtverteilung im Nationalsozialismus. Hitler ernannte Reichskommissare für „Spezialaufgaben“, darunter etwa für die Preisbildung oder das Wohnungsbauwesen. Oft griff er auf Gauleiter zurück. Die wichtigsten Reichskommissare waren diejenigen, die in einigen eroberten Ländern eine Art kolonialer Statthalter Hitlers waren. Josef Terboven zum Beispiel, seines Zeichens Gauleiter des Gaues Essen, wurde 1940 Reichskommissar von Norwegen.
Aufgabe Terbovens war es, die Zivilverwaltung Norwegens so weit vorzubereiten, dass das Gebiet an das Reich angeschlossen werden konnte – höchstwahrscheinlich in Form einiger Reichsgaue. Bei Ländern wie Norwegen, die aus Sicht des Nationalsozialismus „rassisch“ eng verwandt mit dem deutschen Blut waren, war lediglich mit einigen Jahren für diese Aufgabenerfüllung zu rechnen. Schwieriger waren Gebiete wie die Ukraine unter Verwaltung des Gauleiters von Ostpreußen, Erich Koch, die erst noch durch den sogenannten „Hungerplan“ und die Ansiedlung von Deutschen „rassisch angepasst“ werden sollten, um sie dann dem Reich anzuschließen.
Der wohl mit Abstand bekannteste Gauleiter war der oben schon angesprochende Joseph Goebbels – allerdings nicht aufgrund seiner Eigenschaft als Gauleiter, sondern als Reichspropagandaminister. Schon mit seinem Reichsleiteramt als Propagandaleiter der Gesamtpartei ab 1930 stach er unter den Gauleitern etwas hervor, war doch das Reichsleiteramt der NSDAP eines der wenigen Reichsleiterämter, die über den Einfluss der Gauleiter hinaus gingen. Mit dem fachlich entsprechenden Ministeramt ab 1933 wurde dieser Machtvorsprung sogar noch ausgebaut.
2.6. Kein Gauleiter wie der andere
Offensichtlich ist, dass die Gauleiter und ihre Politik höchst unterschiedlich waren. Das lag einerseits an den Gauen selbst. Die großstädtisch geprägten Gaue wie Düsseldorf (Friedrich Karl Florian) oder Wien (Baldur von Schirach) besaßen andere Bedingungen und Umstände, als gemischte städtisch-ländliche Gaue wie München-Oberbayern (Adolf Wagner) oder Danzig-Westpreußen (Albert Forster), während diese wieder andere Kontexte besaßen als die stark ländlich geprägten Gaue wie die Mark Brandenburg (Emil Stürtz) oder Süd-Hannover-Braunschweig (Hartmann Lauterbacher). Aber selbst strukturell ähnliche Gaue unterschieden sich stark. Die regionalen Mentalitäten großstädtischer Gaue wie Essen (Josef Terboven) oder Berlin (Joseph Goebbels) wichen stark voneinander ab, ebenso wie jene von gemischten Gauen wie Weser-Ems (Carl Röver) und Württemberg-Hohenzollern (Wilhelm Murr) oder ländlichen wie Wartheland (Arthur Greiser) und Schleswig-Holstein (Hinrich Lohse).
Andererseits waren die Gauleiter und ihre Politik höchst unterschiedlich, weil die Persönlichkeiten der Gauleiter sehr verschieden waren. Es gab Gauleiter vom sozialistischen Parteiflügel wie Karl Kaufmann (Hamburg) gegenüber Gauleitern vom nationalistischen Parteiflügel wie Julius Streicher (Franken); es existierten Gauleiter der frühen Tage der Partei wie Friedrich Hildebrandt (Mecklenburg) und zugleich Gauleiter der jüngsten Generation wie Hartmann Lauterbacher (Süd-Hannover-Braunschweig). Genauso gab es Gauleiter, die enorm viel Arbeit selbst erledigten wie Josef Bürckel (Westmark) und gleichzeitig Gauleiter, die ihre Stellvertreter mit Arbeit überhäuften wie Otto Telschow (Ost-Hannover). Und jeder Gauleiter herrschte anders. Jeder von ihnen installierte eine eigene Arbeitsweise in seinem Gau und hinterließ damit eine persönliche Note. Karl Kaufmann (Hamburg) etwa schuf ein System von Delegation bei gleichzeitiger ständiger Rückkopplung an ihn, während Bernhard Rust (Süd-Hannover-Braunschweig) einfach eigenverantwortlich seinen Stellvertreter das Tagesgeschäft abwickeln ließ. Doch so verschieden sie alle waren, einte sie doch eine zentrale Gemeinsamkeit: Ohne ihr Wirken, ihre Existenz und ihre Mitarbeit wäre der Nationalsozialismus institutionell so nicht möglich gewesen.
Ausblick: Das Ungeklärte erforschen – das Gesamtbild erweitern
Einmal kurz zum Überblick die Frage, welche Arten von Gauleitern es gab. Es gab die „’nur’-Gauleiter“, die keine höheren Funktionen außer ihrem Gauleiteramt besaßen. Im Parteigau waren sie unangefochten und auf staatlicher Seite konnten sie innerhalb ihres Gauterritoriums auf verschiedene Arten herrschen. Auch wenn sie also nicht formal-nominell die Spitze des Staats im Gaugebiet waren, so waren sie es doch faktisch. Eine andere Art von Gauleitern waren die Gauleiter mit mittelmächtigen hohen Staatsfunktionen, wie etwa das Amt des Regierungspräsidenten, dessen Regierungsbezirk sich mit dem des Gaues decken konnte. Hinzu kam eine weitere Art von Gauleitern in Form der Reichsstatthalter und Oberpräsidenten, die im ersteren Falle diktatorisch über einer Landesregierung schwebten und im zweiteren faktisch eine diktatorische Provinzialregierung begründeten. Sonderfälle gesellten sich zu dieser Art der Gauleiter in Gestalt derjenigen, die neben Gauleiter- und Reichsstatthalteramt auch das Ministerpräsidentenamt übernahmen sowie denjenigen, die Reichsgauen vorstanden, in denen diese Funktionen in einer Person verschmolzen waren. Eine andere Art von Gauleitern waren die, die regional angrenzende Gebiete faktisch annektierten und als CdZ oder Oberste Kommissare beherrschten. Die letzte wichtige Art an Gauleitern waren diejenigen Reichsminister und Reichskommissare mit unterschiedlichen Funktionen, die reichsweit bedeutenden Einfluss besaßen.
Die Gauleiterforschung liegt voll im Trend. Trotzdem sind noch viele Fragen offen. Es werden zwar immer mehr Gauleiter und Gaue erforscht, wodurch stets weitere Bausteine zum Gesamtverständnis des Nationalsozialismus zusammenkommen. Zugleich werden damit wichtige Meilensteine zur Erforschung der jeweiligen Regionalgeschichte der Gaue geleistet. Aber trotz großer Fortschritte sind die Lücken noch erheblich. Einige Gauleiter sind immer noch zu großen Teilen blinde Flecken, darunter etwa Otto Hellmuth aus dem Gau Mainfranken, der immerhin von 1928 bis 1945, also 17 Jahre lang, Gauleiter war. Selbst einige der wichtigsten und einflussreichsten Gauleiter wurden bislang immer noch nicht detailliert erforscht, so etwa Robert Wagner aus dem Gau Baden, dessen Wirken bei Hitler besonders hoch im Kurs stand, der das Elsass als CdZ radikal von Juden und unwilligen Franzosen „säuberte“, und der das Elsass innerhalb kürzester Zeit durch Förderung und Forderung von Kultur, Kunst, Sprache und weiterem zu „germanisieren“ vorantrieb.
Es ist ein Manko für das Gesamtverständnis des Nationalsozialismus und für die Regionalgeschichte der einzelnen Gebiete der früheren Gaue, dass in der Gauleiterforschung noch so große Lücken bestehen, zumal wegen der großen Machtfülle und der Freiheit der einzelnen Gauleiter ein enormer Hang zu Individualismus bestand. Nur weil ein Gau oder Gauleiter gut erforscht ist, heißt das also nicht, dass die gesamte NS-Mittelinstanz damit schon erklärbar wäre. Mit der Erforschung eines einzelnen Gauleiters oder Gaues ist durchaus ein weiterer Baustein erbracht. Aber vom individuellen Gauleiter auf alle schließen zu wollen, könnte zu wackeligen Fehlschlüsseln führen. Umso wichtiger ist es, dass die Erforschung der Mittelinstanz rasch voranschreitet. Nur so können regionale Anstöße für die reichsweite Politik wie die Vorwegnahme der Reichsreform im Saarland unter Josef Bürckel, die Etablierung der Gaswagen im Warthegau unter Arthur Greiser, die Städtebaupläne wie in München unter Adolf Wagner und vieles weitere verstanden werden. Und auch die Geschichte dieser Gebiete kann nur verstanden werden, wenn sie so betrachtet wird, wie sie war: Individuell.
Daniel Meis, hauptberuflicher Historiker, studierte Geschichte, Politikwissenschaft & Rechtswissenschaft an den Universitäten Wuppertal, Hagen & Bonn. In Bonn promovierte er auch von 2020 bis 2022. Seit 2020 lehrt er an der Universität Düsseldorf, ab 2022 zusätzlich auch an den Universitäten Bonn & Stuttgart. Seine Schwerpunktbereiche in Forschung & Lehre sind Biografik, Mediengeschichte, Nationalsozialismus, Regionalgeschichte & Unternehmensgeschichte.
Literatur und Auswahlbibliographie
- Düwell, Kurt: Die regionale Geschichte des NS-Staates zwischen Makro- und Mikroanalyse. Forschungsaufgaben zur „Praxis im kleinen Bereich“. Mit einem Literaturüberblick, in: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 9/1983, S. 287–344.
- John, Jürgen/Möller, Horst/Schaarschmidt, Thomas (Hrsg.): Die NS-Gaue. Regionale Mittelinstanzen im zentralistischen „Führerstaat“, München 2007 (fast sämtliche Beiträge des Sammelbands).
- Höffkes, Karl: Hitlers politische Generale. Die Gauleiter des Dritten Reiches. Ein biographisches Nachschlagewerk, 3. Auflage, Tübingen 1987.
- Hüttenberger, Peter: Die Gauleiter. Studie zum Wandel des Machtgefüges in der NSDAP, Stuttgart 1969
- Möller, Horst/Wirsching, Andreas/Ziegler, Walter (Hrsg.): Nationalsozialismus in der Region: Beiträge zur regionalen und lokalen Forschung und zum internationalen Vergleich, München 1996 (fast sämtliche Beiträge des Sammelbands).
- Noakes, Jeremy: „Viceroys of the Reich“? Gauleiters 1925–45, in: McElligott, Anthony/Kirk, Tim (Hrsg.): Working Towards the Führer, Manchester 2003, S. 118–152.
- Ruck, Michael: Partikularismus und Mobilisierung – traditionelle und totalitäre Regionalgewalten im Herrschaftsgefüge des NS-Regimes, in: Reichardt, Sven/Seibel, Wolfgang (Hrsg.): Der prekäre Staat. Herrschen und Verwaltung im Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 2011, S. 75–120.
- Ruck, Michael/Pohl, Karl Heinrich (Hrsg.): Regionen im Nationalsozialismus, Bielefeld 2003 (fast sämtliche Beiträge des Sammelbands).
- Hinzu kommen die zahlreichen regionalspezifischen Aufsätze, Sammelbände und Monografien über einzelne Gaue und Gauleiter, die zentral sind, aber zu umfangreich, als sie hier alle aufzuzählen. Jüngstes Beispiel ist die im Erscheinen befindliche Monografie des Verfassers über den Gauleiter von Rheinland-Nord (1925–1926), Ruhr (1926–1928) und Hamburg (1929–1945), Karl Kaufmann: Meis, Daniel: Hamburgs „Führer“ Karl Kaufmann (1900–1969) – ein Leben zwischen Macht, Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Krankheit, Darmstadt 2022.