Schon bald nach der Erfindung des Films 1872* strömten viele Zuschauer in die Kinos. Der Gang in die „Filmvorführanstalten“ wurde im deutschen Kaiserreich schnell zum gesellschaftlichen Massenphänomen, genauso wie im Rest Europas. Um die Wende zum 20. Jahrhundert war der Film, gemeinsam mit anderen Bild- und Textmedien der Populärkultur (wie z. B. Groschenromanen) zum wichtigsten Unterhaltungsmedium geworden. So war der Unterhaltungsfilm ausgesprochen gut an die modernen Gegebenheiten des beschleunigten Lebens angepasst – im Gegensatz zu klassischen Medien, wie dem gedruckten Buch oder dem Magazin. Am Erfolg des Kinos änderte dabei auch der Umstand nichts, dass die konservative Kulturkritik vonseiten der Kirchen und der klassischen Kulturträger das Kino als „Teufelszeug“ und „geistige Volksvergiftung“ brandmarkte.
Veranschaulichen lässt sich der rasante Aufstieg des Kinos in Deutschland an der steigenden Anzahl von Lichtspielhäusern in Berlin. Gab es in der Reichshauptstadt im Jahre 1905 noch 105 Kinos, hatte sich deren Anzahl bis 1913 auf 206 erhöht und damit fast verdoppelt. Reichsweit existierten im Jahr 1917 bereits 3.130 stationäre Kinotheater. Schausteller, die von Ort zu Ort zogen, versorgten mit mobilen Wanderkinos den wachsenden Bedarf der Bewohner des ländlichen Raums nach Unterhaltung durch Kino und Film. 1907 bzw. 1908 wurden mit „Der Kinematograph“ und „Die Lichtbildbühne“ die ersten Fachzeitschriften für den Filmmarkt gegründet. Deutsche Filmproduktionen wurden im Kaiserreich erst ab 1910 produziert. Die populärsten Filme der Zeit kamen damals noch aus Frankreich. nach oben ↑
Der Film – beliebt in allen Schichten …
Beliebtheit erfreute sich der Film vorwiegend als Freizeitbeschäftigung niederer Gesellschaftsschichten, auch innerhalb der Arbeiterklasse. Entgegen früheren Ansichten der Filmgeschichtsschreibung wäre es allerdings falsch, ihre Standardthese, der Film sei im Kaiserreich ausschließlich „Medium des Proletariats“ und der „städtischen Unterschichten“ gewesen, aufrechtzuerhalten. So blieben beispielsweise politisch und gewerkschaftlich organisierte Arbeiter dem Kino meist fern, was mit den Ansprüchen der „sozialistischen Arbeiterkultubewegung“ zu tun hatte, dass Kultur vor allem klassische Hochkultur zu sein habe.
Soziologische Studien, noch aus der Kaiserzeit selbst, legen ein sehr heterogenes Publikum des Films nahe, dessen kleinster gemeinsamer Nenner die Grenzerfahrung darstellte, zwischen den gesellschaftlichen Klassen, Gruppen und Generationen zu stehen. Weiterhin teilte man oft auch die Erfahrung von Diskriminierung und Marginalisierung. Auffallend ist der hohe Anteil weiblicher Kinobesucher und derer in jugendlichem Alter. nach oben ↑
… trotz massiver kirchlicher und intellektueller Kritik
Das Kino und der Film hatten in seiner Anfangszeit vor Beginn des 1. Weltkriegs einen schweren Start. Nicht nur das (gehobene) Bürgertum stand dem Kino generell ablehnend gegenüber, auch der gebildete Mittelstand, die renommierten Kulturträger und die sozialdemokratische Arbeiterbewegung standen dem Kino grundsätzlich ablehnend gegenüber. Bei dieser Frontstellung dem Kino gegenüber waren sich evangelische und katholische Kirche einig. Klerikale Kreise liefen öffentlich Sturm gegen das neue Kulturmedium. So waren der Film und das Kino vielfach Angriffen und Anfeindungen ausgesetzt. Man prangerte sie als große Gefahr für Sitte, Moral und Anstand an. Produzenten und Kinobesitzern wurde vorgeworfen, niedere Instinkte des Menschen – wie die „Sensationslust der Masse“ – schamlos kommerziell auszubeuten. Viele Intellektuelle sahen den Untergang der renommierten, klassischen Kulturmedien, wie dem Buch und dem Theater, durch die so genannten „Schmutz- und Schundfilme“ gekommen. Als Angehöriger der konservativen Eliten des Kaiserreichs blieb man dem Kino generell fern.
Das ausgeprägt negative Bild von Kino und Film in den gehobenen Schichten des Kaiserreichs sowie innerhalb klerikaler Kreise lässt sich anschaulich an einer Reihe von Beispielen illustrieren. Victor Noack, deutscher Schriftsteller aus der Zeit des deutschen Kaiserreichs und der Weimarer Republik, bezeichnete 1903 als ein Vertreter der Klassisch-Kulturschaffenden das Kino als „eine Orgie der Geschmacklosigkeit“ und „eine geistige Volksvergiftung großen Stils“. Auf Anordnung des Vatikans war allen Geistlichen der Besuch eines Kinos untersagt. 1914 wandten sich die deutschen Bischöfe mit einem „Hirtenbrief“ an das deutsche Volk, in dem gegen das „Teufelswerk Kino“ gewettert wurde. Auf einer Tagung der evangelischen Generalsynode prangerte man das Kino als „Instrument des Teufels“ an. Die fortgesetzte massive Kritik von kirchlicher, adliger und bürgerlich-intellektueller Seite änderte allerdings nichts daran, dass der Kinogang schon kurz nach der Erfindung des Films – wie oben beschrieben – zum gesellschaftlichen Massenphänomen avancierte.
* Mit der „Erfindung des Films“ sind die Serienfotografien Eadweard Muybridge gemeint, die allgemein als Durchbruch des bewegten Bildes gesehen werden.
Google und Geschichte – Robin Brunold studierte neuere und Neueste Geschichte, Mittelalterliche Geschichte und politische Wissenschaften und absolvierte seinen Magisterabschluss im Januar 2013 an der LMU München. Davor hat er die Waldorfschule Ismaning besucht und mit dem externen Abitur abgeschlossen. Heute arbeitet er selbstständig im Bereich Suchmaschinenmarketing und als Freier Historiker.
Literatur und Auswahlbibliographie
- Fischli, Bruno: „Das goldene Zeitalter der Kölner Kinematographie (1896-1918), in: Fischli Bruno (Hrsg.): Vom Sehen im Dunkeln. Kinogeschichten einer Stadt.1990*. (mit regionalgeschichtlicher Anlage)
- Hake, Sabine: Film in Deutschland. Geschichte und Geschichten seit 1895. 2004*. (nur gebraucht erhältlich)
- Jung, Uli (Hrsg.): Der deutsche Film. Aspekte seiner Geschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart. 1993*. (spezialisierte Fachliteratur)
- König, Siegfried: Die Welt des Kinos. Eine Reise durch die Geschichte des Films. 2015*. (Angenehm zu lesende Fachliteratur)