Dem Mangel der Nachkriegszeit folgte ein breites Angebot zu Wirtschaftswunderzeiten
Roger Rössing – Deutsche Fotothek, CC-BY-SA-3.0-de
Der wirtschaftliche Aufschwung nach Gründung der Bundesrepublik ließ die Konsummöglichkeiten in allen Bereichen des materiellen Lebens schnell und dauerhaft zunehmen – ein zentrales Erlebnis aller Bürger. Der Lebensstandard und der materielle Wohlstand aller Gesellschaftsschichten stiegen spürbar an. Schelsky – ein bedeutender Soziologe der Nachkriegszeit – diagnostiziert daraufhin eine neue Form der gesellschaftlichen Schichtung, die „nivellierte Mittelstandsgesellschaft“ – eine weitgehend egalisierte Gesellschaft. Bald sah sich Schelsky massiver Kritik ausgesetzt und musste seine These teilweise modifizieren.
Ab 1949 erholte sich die deutsche Wirtschaft – nach der bitteren Not der unmittelbaren Nachkriegszeit – erst langsam und dann immer schneller. Im Zuge des „Wirtschaftswunders“ kannten die volkswirtschaftlichen Kennzahlen bald nur noch die Richtung „nach oben“. Nach und nach wurden während der 50er Jahre alle Bedürfnisse befriedigt, die die Menschen in der Kriegs- und Nachkriegszeit nicht ausreichend hatten stillen können. (Neben einer hohen Sparquote) kam es so zu den berühmt gewordenen „Konsumwellen“ der 50er Jahre. Auf die „Fresswelle“ folgte die „Reisewelle“ und darauf die „Televisonierungswelle“ – die schließlich von der „Motorisierungswelle“ abgelöst wurde.
Helmut Schelsky und die nivellierte Mittelstandsgesellschaft
Helmut Schelsky (1912 – 1984) war einer der aufgrund seiner NS-Vergangenheit umstrittensten, aber dennoch bedeutendsten Soziologen der frühen Bundesrepublik. Er erkannte in diesen Entwicklungen der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft eine sozioökonomische Entwicklung, für die er den Begriff der „mittelständischen Nivellierung“ prägte. Dabei bezog er sich auf die Abschleifung der Unterschiede beim Konsumverhalten und im Lebensstil der Westdeutschen. Er diagnostizierte relativ einheitliche Verbrauchsgewohnheiten bei industriell hergestellten und normierten Konsumartikeln aller gesellschaftlichen Schichten – wenn auch auf unterschiedlichem finanziellen Niveau. Darauf aufbauend zog Schelsky noch wesentlich weitreichendere Schlüsse: Er identifizierte den Übergang von einer Klassengesellschaft in eine Schichtengesellschaft, die weder proletarisch, noch bürgerlich sei, sondern kleinbürgerlich-mittelständischen Charakter aufwies.
Kritik und Modifizierung der These
In seiner vielfach rezipierten Analyse hatte Schelsky allerdings vor allem die Gesellschaft des Kaiserreichs zum Vergleich mit der bundesrepublikanischen herangezogen. So fielen ihm Klassenunterschiede besonders stark ins Auge. Dabei vernachlässigte er aber (unter anderem) vielfältige Tendenzen der gesellschaftlichen Modernisierung in der Weimarer Republik. So musste sich Schelsky bald massive Kritik von verschiedenen Seiten gefallen lassen. Der Kritik konnte er keine empirischen (statistischen) Nachweise für die Angleichung von Arm und Reich in der Bundesrepublik entgegensetzen. Auch konnte Schelsky seine Behauptung nicht weiter untermauern, dass in den 50er Jahren eine grundlegende Veränderung in der Zusammensetzung der gesellschaftlichen Eliten stattgefunden habe. Diese konstituierten sich auch in der Bundesrepublik weiterhin fast ausschließlich aus dem bürgerlichen Milieu. Weiterhin blieb die Relation von Arbeiter- und Selbstständigen-Gehältern (mit großem Vorteil bei den Selbstständigen) in der frühen Bundesrepublik annähernd gleich.
Fazit: Eine neue Mittelschicht – aber nicht nur
Angesichts dieser vehementen Kritik räumte Helmut Schelsky letztendlich die fortgesetzte Existenz klarer gesellschaftlicher Schichten ein. Trotzdem hatte er mit seinen Forschungsarbeiten erfolgreich aufgezeigt, dass die Mittelschicht Ende der 50er Jahre wesentlich breiteren gesellschaftlichen Raum einnahm als zuvor. In der Tat entstand in der Ära Adenauer eine breite kleinbürgerlich-mittelständische Schicht, welche – durch die Adenauersche Sozialpolitik abgesichert – fortan das wirtschaftliche und politische Fundament der Bundesrepublik Deutschland bilden sollte – neben dem (bis heute) existierenden Großbürgertum und den gesellschaftlichen Unterschichten.
Artikel erstmals veröffentlicht am 15. Februar 2015
Google und Geschichte – Robin Brunold studierte neuere und Neueste Geschichte, Mittelalterliche Geschichte und politische Wissenschaften und absolvierte seinen Magisterabschluss im Januar 2013 an der LMU München. Davor hat er die Waldorfschule Ismaning besucht und mit dem externen Abitur abgeschlossen. Heute arbeitet er selbstständig im Bereich Suchmaschinenmarketing und als Freier Historiker.
Literatur und Auswahlbibliographie
- Bührer, Werner: Die Adenauer-Ära. Die Bundesrepublik Deutschland 1949 – 1963. 1993*.
- Geppert, Dominik: Die Ära Adenauer. 2012*.
- Morsey, Rudolf: Die Bundesrepublik Deutschland. 2000*.
- Görtemaker, Manfred: Kleine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. 2012*.
- Rüdiger, Mark: „Goldene 50er“ oder „Bleierne Zeit“?. Geschichtsbilder der 50er Jahre im Fernsehen der BRD, 1959-1989. 2014*.
- Sontheimer, Kurt: Die Adenauer-Ära. Grundlegung der Bundesrepublik. 1991*.
- Winkler, Heinrich August.: Der lange Weg nach Westen. Deutsche Geschichte. 2005.*.